Andacht vom 20.06.2007:
Vergiss die Liebe nicht!
Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Prediger 7,16
Sollte das wirklich Gottes Wille sein? Ist man denn weise oder gerecht, wenn man es nicht ganz und gar ist oder wenigstens zu sein versucht? Gibt es hier überhaupt ein "allzu"?
August Dächsei hat in seinem Bibelkommentar bei "nicht allzu gerecht" in Klammern die Bemerkung hinzugefügt: "Treib es nicht zu weit in der äußerlichen Art der Gesetzeserfüllung, womit so leicht Dünkel und Hochmut sich verbinden." Und bei "allzu weise" ergänzt er: "... in deinem Verhalten anderen gegenüber, dass du sie immer schulmeisterst und ihnen zumutest, sich in allen Stücken an dir ein Exempel zu nehmen".
Es handelt sich also um eine ganz pragmatische Feststellung, die der Prediger Salomo aufgrund seiner Beobachtungen trifft. Salomo stellte fest, dass jedem seine "Gerechtigkeit" nicht immer sichtbar von Gott in diesem Leben honoriert wird und mancher Gottlose lange in seiner Bosheit lebt (Pred 7,15). Deshalb war sein Rat: "Übertreib es nicht mit der Rechtschaffenheit und bemühe dich nicht zu sehr um Wissen! Warum willst du dich selbst zugrunde richten?" (V. 15 GNB)
Menschliche Gerechtigkeit und Weisheit sind eben zu begrenzt, als dass sie sich jemals ein endgültiges Urteil anmaßen dürften. Sie stehen immer in der Gefahr, in Form von Haarspalterei und Besserwisserei übertrieben zu werden. Das widerspricht gewiss nicht dem Anerkennen von Kompetenz und Urteilsfähigkeit, bei deren Steigerung kaum jemand schuldig werden könnte.
Von einem der weisen Griechen des Altertums soll das Wort stammen "Nichts zuviel". Es will vor Übertreibung in allen Lebensbereichen warnen und hat damit gewiss Recht.
Im obigen Andachtstext geht es vor allem darum, dass wir Gerechtigkeit und Weisheit unserem Nächsten gegenüber nicht zum eigenen oder zum Schaden des anderen praktizieren sollen. Es fordert damit indirekt zu dem auf, was Jesus als göttliches Gebot aus 3. Mose 19,18 zitiert: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." (Mt 22,39) Ist da noch Platz für ein "allzu gerecht" und "allzu weise" anderen und vielleicht auch sich selbst gegenüber?
Theodor Pfingstl
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.