Andacht vom 09.09.2008:
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Dies eine bekenne ich allerdings offen: Ich diene dem Gott unserer Vorfahren, und zwar nach der Glaubensrichtung, die sie für eine Sekte halten. Ich glaube alles, was im Gesetz des Mose und in den Propheten steht. Apostelgeschichte 24,14 (Hoffnung für alle)
Paulus muss sich als Gefangener vor dem römischen Statthalter Felix gegen die Anklagen der damaligen Geistlichkeit verantworten. Die Ankläger behaupteten, er sei ein vom jüdischen Glauben abgefallener Aufrührer. Deshalb stehe er nicht mehr unter dem Schutz, den die Römer den Juden gewährten. Dem widerspricht Paulus energisch: "Ich glaube allem, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten."
Leider sind nicht alle Christen diesem Beispiel gefolgt. Bereits in der Mitte des zweiten Jahrhunderts verursachte ein gewisser Marcion die erste tief gehende Kirchenspaltung. Er "reinigte" die christliche Botschaft von allen jüdischen Wurzeln. Seine Bibel enthielt nur das Lukasevangelium und zehn Briefe des Paulus, wobei er auch diese elf Schriften noch von "jüdischen Verfälschungen" befreite.
Bis ins 4. Jahrhundert haben die Marcionisten dieses selektive Christentum vertreten.
Die Neigung, nur eine Auswahl aus der Bibel anzuerkennen, reicht von Marcion bis in die Gegenwart. Eine Umfrage aus dem Jahre 1999 unter evangelischen und katholischen Kirchenmitgliedern erbrachte Erstaunliches: 85 % glauben, dass Christus Gottes Sohn war; 78 % glauben, dass er auferstanden ist; 57 % glauben an die Auferstehung und ein ewiges Leben.
Nie hat Gott seine Heilsbotschaft zur beliebigen Auswahl angeboten. Im Gegenteil: "Fügt meinen Worten nichts hinzu, und lasst nichts davon weg!" (5 Mo 4,2 Hfa.) "Denn die ganze Heilige Schrift ist von Gott eingegeben. Sie soll uns unterweisen; sie hilft uns, unsere Schuld einzusehen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und so zu leben, wie es Gott gefällt." (2 Tim 3,16 Hfa)
Theo Lehmann, Chemnitzer Jugendpfarrer, wurde von einem Amtsbruder bei der Stasi wegen seiner primitiven Theologie und der Bekehrung junger Menschen angeschwärzt. Im Stasibericht fand er später als letzten Satz: "Für ihn gilt die Bibel als uneingeschränkt wahr." "Das war einer der wenigen Sätze in meiner Akte, über den ich mich gefreut habe", schrieb er. Die Bibel ist kein Supermarkt, in dem jeder nach Geschmack und Bedarf auswählen kann. Vielmehr sollen wir darauf bedacht sein, Gottes Wort uneingeschränkt gelten zu lassen, damit es auch in unserem Lebensbericht heißen kann: "Ich glaube allem, was geschrieben steht."
Joachim Hildebrandt
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.