Andacht vom 16.10.2011:
Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Hiob 42,5
So wie Hiob möchte ich leben - das habe ich schon mehrmals bekannt und gesagt. Ich bin mir aber sicher, dass ich nicht das erleben will, was Hiob durchgemacht hat. Dennoch fesselt mich dieser Mann über die Maßen. Er hat sich bei Gott beklagt, hat protestiert und ihn auf die Anklagebank gezerrt. Er hat Gott mit Fragen überschüttet und geflucht, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagt, wenn ich lese, was da so ungeschützt aus einem verletzten Herzen kam. Es sind die Worte eines ums Überleben kämpfenden Mannes, und seine Warum-Fragen sind mir sympathisch.
Aber auf keine seiner Fragen hat Hiob eine eindeutige Antwort bekommen. Weder im Buch Hiob noch sonst in der Bibel gibt es für das, was diesem Mann widerfuhr, eine einleuchtende Erklärung. Und dennoch bekennt er am Schluss, als Gott mit ihm geredet und ihn mit vielen Fragen auf seine Schöpfermacht hingewiesen hatte: "Aber nun hat mein Auge dich gesehen." Gott selbst ist ihm zur Antwort geworden!
Wir würden am Ende des Buches gern Antworten lesen. Aber wir finden sie nicht und klammern uns dann an Erklärungen, die offene Fragen und ungelöste Probleme lösen sollen. Doch an diesem Punkt lässt uns Hiob allein. Er hat sich Gott hingegeben und wir können auf seine wunde Seele schauen. Genau das ist die fatale Distanz des Beobachters, der über den Dingen steht und gebannt auf eine Lösung aller Fragen wartet.
Doch der Text macht Eines klar: Hiob möchte nicht zwischen Gott und uns stehen. Er kann nicht die Antwort ersetzen, die ich nötig habe. Ich muss Gott begegnen - in meinem Leben und an meinem Ort. Dann muss ich auch hierin bekennen: "Ja, so wie Hiob möchte ich leben", mich mit ehrlichem Herzen Gott ausliefern. Dann wird mir Gott begegnen. Nicht nur vom Hören, aus der Bibel oder anderen Büchern, sondern aus der persönlichen Begegnung zwischen Gott und mir erwächst ein tiefes Vertrauen zu ihm.
Jesus hat vor seiner Kreuzigung in Gethsemane mit Gott gerungen, weil er Kraft und Gewissheit für sein Opfer brauchte. Die Begegnung mit dem Vater war ihm Antwort genug. Doch Gott ist keineswegs stumm geblieben. In Jesus haben wir eine leibhaftige Antwort auf alles bekommen. In der täglichen Begegnung mit Jesus wird sie hör- und sichtbar.
Johannes Naether
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.