Andacht vom 10.11.2004:
Gewissenlos?
Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt in heiligen Geist. Römer 9,1
In den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland gab es im Bundestag eine heiße Redeschlacht zum Thema "Gewissen". In einer Sitzung rief ein eigenwilliger Abgeordneter aus Bayern: "Das Gewissen lügt!" Empörung machte sich breit. Kann das Gewissen lügen? Hatte der Abgeordnete mit seinem Zwischenruf Recht? Er hatte! Man denke nur an jene, die - ihrem Gewissen folgend - eifrig Holz sammelten und es auf den Scheiterhaufen des Jan Hus legten.
Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freund (1856 - 1939), meinte: "Gewissen ist nichts anderes als das Verlegen der Autorität von außen nach innen." Die letzte Instanz des Gewissens sei erreicht, wenn es als Stimme Gottes erscheine. Das wirkt sich in der Praxis fatal aus.
Der Schriftsteller Jean Paul stellte fest: "Nichts ist leichter zu betrügen als das Gewissen", und der Philosoph Arthur Schopenhauer spottete, das Gewissen bestehe aus je einem Fünftel Menschenfurcht, Angst vor Dämonie, Eitelkeit, Vorurteil und Gewohnheit. Wir kommen dem Kern der Sache näher, wenn wir erkennen: Das Gewissen des Menschen ist manipulierbar. Es zeigt nicht an, was Wahrheit ist, sondern will nur mahnen, das zu tun, was der Betreffende für Wahrheit hält.
"Im Gewissen kann sich auch der Teufel zu Wort melden", sagt der katholische Moraltheologe Heribert Niederschlag, und er zitiert einen KZ-Kommandanten des Dritten Reiches: "Ich habe von Kindheit an immer nur gewissenhaft das getan, was man mir auftrug."
Unser Bibeltext will deutlich machen: Je näher wir Jesus Christus stehen, um so mehr wird unser Gewissen vom Heiligen Geist geprägt. Irdische Instanzen bekommen dann weniger Bedeutung für uns. Der Richter ist in uns, wenn wir mit Christus leben. Dann nämlich wirkt das schlechte Gewissen in uns korrigierend zum Positiven hin.
Heinz Schumacher
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.