Andacht vom 19.01.2006:
Aufarbeiten oder scheiden?
Er [Jesus] sprach zu ihnen: Mose hat euch erlaubt, euch zu scheiden von euren Frauen, eures Herzens Härte wegen; von Anfang an aber ist's nicht so gewesen. Matthäus 19,8
Diese "Herzens-Härte" ist auch heute in Ehekonflikten zu erleben: Keiner will seine Position aufgeben. Keiner will zurückstecken. Wenn Ehepartner sich trennen wollen, betrifft es nie nur diese beiden. Wie konnte es nur so weit kommen?
Der nachfragende Seelsorger erlebt ein Phänomen. Die Geschichte der beiden Partner hört sich so gegensätzlich an, als hätten sie die Ehe nicht gemeinsam erlebt. Schuldzuweisungen sind an der Tagesordnung. Jeder erwartet vom anderen Lösungsschritte. Nur, wie soll das funktionieren, wenn jede Seite beharrlich nur den eigenen Standpunkt vertritt? Die Mitschuld am Scheitern der Ehe wird von keinem wahrgenommen. Eine Situation, die ich nur erleide und nicht begreife, drückt mich entweder nieder oder verursacht Wut und Zorn.
Es ist sinnvoll, sein Leben zurückzuverfolgen. Vielleicht gewinnt die Erkenntnis Raum, dass der eigene Schuldanteil schon Jahre zurückliegt. Haben etwa unterschiedliche Zielvorstellungen das Auseinanderleben begünstigt? Wurden Prioritäten einsam, ohne Mitsprache des Partners gesetzt? Ist die Lebensplanung aus dem Ruder gelaufen - etwa durch Krankheit, Fehlinvestitionen oder Dauerstress?
An irgendeinem dieser oder anderer Punkte fällt sicher auf: "Hier begann es, dass unsere Liebe Schaden nahm." Weil nun kein Mensch sein Leben noch einmal von vorn beginnen kann und weil sich verdrängte Erlebnisse immer wieder zurückmelden, ist nur über das Begreifen und Vergeben ein Lösungsweg zu finden.
Meinem Partner gegenüber muss ich eine faire Position einnehmen und aufrichtig sein. Das "Ich habe Recht" wird damit außer Kraft gesetzt. Dann wird das Verstehen der anderen Sicht gefördert und Ablehnung wandelt sich; ich sehe den anderen nicht mehr nur negativ. Akzeptanz stellt sich ein. Der Heilungsprozess kann beginnen. Es gibt kaum eine Ehe, die diese Anstrengung nicht wert wäre.
Herta Blume
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.
