Andacht vom 11.01.2005:
Liebe dich selbst
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Matthäus 22,39
Liebst du dich selbst? Oh, ich weiß, für einen frommen Christen ist das eine falsche Frage. Er würde sich vermutlich wohler fühlen, wenn ich mich nach seiner Bereitschaft zur Demut erkundigte, denn Demut ist bekanntlich die schönste Tugend - nicht nur in christlichen Kreisen. Nur dass sie bei anderen Adressen unter anderem Etikett läuft. Da heißt es: "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" oder: "Die Partei, die Partei hat immer Recht!"
Man kann es übrigens auch ganz anders formulieren, viel moderner, aber nicht weniger wirksam: "Nur wenn du das richtige Outfit trägst, kannst du in dieser Welt mitreden!" - "Du bist nur ,in', wenn du den richtigen Wagen fährst!" - "Du brauchst die richtige Kreditkarte, musst in den besagten Läden kaufen, aber wenn du nicht mehr jung bist, ist für dich sowie alles zu spät."
Haben wir nicht immer betont, dass "Welt"menschen ihr Ego pflegen? Ja, aber was sollen sie auch anderes tun, wenn ihnen heute an jeder Straßenecke deutlich gemacht wird, dass der Wert eines Menschen vom Gewicht seiner Brieftasche abhängt?
Das ist die Wirklichkeit, und im Blick auf diese Wirklichkeit ist das Gebot Jesu geradezu eine Herausforderung: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Nein, du brauchst nicht erst zu fragen, ob du den gnadenlosen Wertmaßstäben deiner Umwelt entsprichst. Du darfst dich bejahen, so wie du bist, ja dich selbst lieben, weil Gott dich liebt und du in seinen Augen unsagbar wertvoll bist. Er hat dich geschaffen als unvergleichliches Unikat. Er hat dir Gaben und Fähigkeiten geschenkt, die niemandem so zu eigen sind wie dir. Er hat sein Leben für dich gegeben, und er stärkt dich mit den Worten: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!" (Jes 43,1) Ist das nicht die Botschaft, die du heute brauchst?
Friedhelm Klingeberg
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.