Andacht vom 27.06.2009:
Biblische Grammatik
Der Schriftgelehrte antwortete: "Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben mit deinem ganzen Herzen, von ganzer Seele, mit aller Kraft und deinem ganzen Verstand. Und auch deinen Mitmenschen sollst du so lieben wie dich selbst." Lukas 10,27 (Hoffnung für alle)
In den ersten Schuljahren plagen sich die Kleinen oft mit der deutschen Grammatik. Was ist ein Subjekt, was ein Objekt; welche Wörter sind Pronomen, welche Verben? Wie anstrengend das ist, erlebe ich gerade bei einem zehnjährigen Türkenmädchen, mit dem ich Hausaufgaben mache. Wenn später Fremdsprachen auf dem Stundenplan stehen, wird es noch schwieriger.
Was hat das mit unserem heutigen Andachtstext zu tun? Die Grammatik der klassischen Sprachen des Altertums und der meisten modernen Sprachen weist viele Parallelen auf. Doch die hebräische Grammatik weicht auffällig davon ab. Bei uns heißt die erste Person "ich", die zweite "du", die dritte "er, sie, es". Prägt diese Reihenfolge auch unser Denken? Zuerst komme ich! Die Engländer betonen das Ich noch dadurch, dass sie es groß schreiben, alle anderen Pronomina dagegen klein.
Im Hebräischen und Aramäischen, den Sprachen des Alten Testaments und Jesu und seiner Jünger, ist die Reihenfolge genau umgekehrt: "Er" - "du" - "ich". Die beiden Liebesgebote in unserem Andachtstext, die der Schriftgelehrte aus den fünf Büchern Mose zitiert, weisen indirekt auf die "biblische Grammatik" hin: "Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!"
Viele Bibelworte mahnen uns, auf diese Reihenfolge zu achten. "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles [was ihr für den Alltag braucht] zufallen." (Mt 6,33) "Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst." (Phil 2,3) "Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor." (Rom 12,10) Wenn wir also die "biblische Grammatik" praktizieren, wird in unserem Leben Gott an erster Stelle stehen, dann folgt der Nächste und dann erst unser Ich.
Der Apostel Johannes weist darauf hin, wie uns das gelingen kann, obwohl es ganz und gar unserer menschlichen Natur widerstrebt: Unsere Liebe zu Gott und zu unserem Nächsten soll ein Echo der Liebe sein, die Gott uns zuerst geschenkt hat und immer wieder schenkt: "Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. ... Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt." (1 Joh 4,10.19)
Joachim Hildebrandt
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.