Andacht vom 01.05.2012:
Denn ich kenne eure Freveltaten, die so viel sind, und eure Sünden, die so groß sind, wie ihr die Gerechten bedrängt und Bestechungsgeld nehmt und die Armen im Tor unterdrückt. Amos 5,12
Der Text des Propheten Amos hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Bestechungsskandale gibt es genug, und Unterdrückung der Armen leider auch. Dieses Thema greift übrigens auch Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, in seinem sehr lesenswerten Buch zum Thema christliche Sozialethik auf, das er nach dem Vorbild seines berühmten Namensvetters Das Kapital betitelt hat.
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Während die Einkommen der Spitzenverdiener zweistellige Zuwachsraten verzeichnen, werden die Armen gleichzeitig immer ärmer, auch im Wohlstandsland Deutschland. Und obwohl namhafte Politiker einen angeblichen Anstieg der Zahl der Sozialbetrüger beklagen, zeigt die Statistik, dass über zwei Millionen Bedürftige, die "Hartz IV" beantragen könnten, ihren Anspruch aus Scham oder Resignation gar nicht erst geltend machen.
Das Credo des Wirtschaftsliberalismus - "Wenn jeder dafür sorgt, dass es ihm selbst gut geht, dann geht es allen gut" - hat sich in der Realität genauso wenig bewährt wie das marxistische Ideal von der "Diktatur des Proletariats". Chancen, wenigstens im Ansatz so etwas wie soziale Gerechtigkeit zustandezubringen, hat nur die christliche Ethik nach dem Vorbild Jesu mit ihrer Rücksicht auf die Schwachen, mit ihrem Menschenbild, das dem Einzelnen wieder Würde verleiht, mit ihrem Bekenntnis zu den Grundrechten und ihrem Bemühen, auch den Ärmsten ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.
Diese Ethik nimmt den verantwortungsbewussten christlichen Arbeitgeber - den es glücklicherweise noch gibt - in die Pflicht, nicht "herauszuholen, was geht", sondern Verantwortung für seinen Arbeitnehmer und dessen Wohlergehen zu übernehmen. Und als gläubige Arbeitnehmer sollten wir nicht zögern, die uns garantierten Rechte auch in Anspruch zu nehmen und, wenn nötig, für sie einzutreten und für die Rechte anderer.
Nur Mut: Der Herr steht auf der Seite der Schwachen und Unterdrückten. Der heutige "Tag der Arbeit" kann uns daran erinnern, auch wenn dieser Gedenktag keine Einrichtung Gottes ist.
Heidemarie Klingeberg
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.