Andacht vom 18.07.2012:
Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über. Psalm 23,5 (Elberfelder Bibel)
Der zweite Teil des 23. Psalms beschreibt Gott als einen königlichen Gastgeber nach altorientalischer Sitte. Zunächst lädt er zu einem Festmahl ein, wobei der Geladene unter dem Schutz des Gastgebers sich beruhigt sogar im Angesicht seiner Feinde hinsetzen kann. Er wird mit feinem Öl gesalbt, eine Behandlung, die nur den wichtigsten Gästen zusteht. Schließlich ist von einem überfließenden Becher die Rede (V. 4.5).
Ein Bekannter von mir erlebte während einer archäologischen Ausgrabung, was es mit einem überfließenden Becher auf sich haben kann: Als er am Zelt eines Beduinen vorbeikam, lud ihn dieser zu einer Tasse Tee in sein Zelt ein. Die Unterhaltung war etwas stockend, da der eine nur Arabisch und der andere nur Englisch sprach, aber irgendwie unterhielten sie sich über Gott und die Welt. Die kleinen Tassen wurden gefüllt und bald war die Tasse meines Bekannten geleert. Als er sich langsam wieder auf den Weg machen wollte, wurde seine Tasse wieder aufgefüllt. Da er es als unhöflich empfand, gerade jetzt zu gehen, blieb er sitzen und trank seine Tasse aus. Sofort wurde sie wieder aufgefüllt.
Dies wiederholte sich mehrmals, bis mein Bekannter schließlich nach der fünften oder sechsten Tasse aufgab und die Tasse halb leer stehen ließ. Der Beduine schien beinahe erleichtert zu sein, als er seinen Gast verabschiedete. Was war geschehen? Als gut erzogener Nordamerikaner hatte mein Freund gemeint, seine Tasse immer wieder aus Höflichkeit leeren zu müssen, während nach orientalischer Sitte eine leere Tasse ein Anzeichen dafür war, dass der Gast noch Durst hatte und nach mehr Tee verlangte.
Das ist das Bild, das uns David im Psalm 23 vor Augen stellt: Ein Becher, der nie geleert werden kann, sondern vorher immer wieder von unserem göttlichen Gastgeber aufgefüllt wird. Gefüllt mit der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, die überfließt und nie versiegt.
Der letzte Vers spricht davon: "Nur Güte und Gnade werden mir folgen alle Tage meines Lebens; und ich kehre zurück ins Haus des HERRN lebenslang." (V. 6 EB) Dieser Gnadenbecher steht jeden Tag von neuem vor uns, immer wieder voll und überfließend in unserem Leben und in dem Leben der Menschen um uns herum. Auch heute dürfen wir in vollen Zügen daraus trinken!
Martin Klingbeil
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.