Andacht vom 29.08.2005:
... dass wir nichts wissen!
Denn unser Wissen ist Stückwerk. 1. Korinther 13,9
Unglaublich, keiner von zehn Kandidaten konnte in einer RTL-Sendung "Wer wird Millionär?" die vier Wörter aus dem Vaterunser "Reich", "Himmel", "Name" und "Wille" in die richtige Reihenfolge bringen. Etwas ironisch gefragt: Konnten sie ihre Blamage mit obigen Bibelwort entschuldigen?
Dietrich Bonhoeffer hat es in seinem Buch "Nachfolge" auf den Punkt gebracht: "Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt: ,Ich sehe, dass wir nichts wissen können', so ist das Resultat und etwas durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten im ersten Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen ... Als Resultat ist der Satz wahr, als Voraussetzung Selbstbetrug."
Was hat Paulus veranlasst, seine Darlegung über die Geistesgaben (griechisch: charismata) zu unterbrechen, um den Korinthern "einen noch besseren Weg" zu zeigen (1 Ko 12,31)? Er möchte sie davon überzeugen, dass die Liebe im Streit um theologische Fragen weitaus wichtiger ist als das Beharren auf eigenen Überzeugungen. Den Ephesern schrieb er, dass "die Liebe Christi erkennen alle Erkenntnis übertrifft" (Eph 3,19). Im Konflikt um das Essen von Götzenopferfleisch wird der Apostel noch deutlicher: "Die Erkenntnis bläht auf; aber die Liebe baut auf." (1 Kor 8,1)
Paulus will streitbaren Christen zeigen, dass es Grenzen unserer theologischen Erkenntnis gibt. Er benutzt dabei zwei Vergleiche. Unsere Einsichten in göttliche Geheimnisse sind wie das Urteilsvermögen eines Kindes im Vergleich zu dem eines reifen Mannes (V. 11) - oder wie das matte, unklare Bild eines altertümlichen Metallspiegels im Vergleich zum Original (V. 12).
Auch heute gäbe es unter uns Christen sicher viel weniger theologischen Streit, wenn wir stets anerkennen würden: "Unser Wissen ist Stückwerk."
Joachim Hildebrandt
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.