Andacht vom 23.09.2006:
Nachsicht mit dem Strauchelnden
Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn ... Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Römer 14,8.10
Diese Mahnung steht mitten in einer Argumentation des Apostels Paulus über Auffassungs- und Verhaltensunterschiede im Leben von Christen. Offenbar beunruhigten derartige Differenzen damals gerade die Gemeinde in Rom. Wie sieht es heute bei uns damit aus?
Paulus vertritt nicht die Meinung, es sei gleichgültig, was ein Christ als Dienst für Gott ansieht, sondern betont, dass es darauf ankommt, ob das, was ich tue, wirklich aus Liebe zu Gott getan wird (Rö 13,8-10). Ob sein Leben bis hin zum Sterben unverrückbar auf Gott ausgerichtet ist, muss jeder für sich selbst klären. Wenn das aber zutrifft, spielen die vielen Unterschiede in Auffassung, Erkenntnisstand und Lebensstil keine so große Rolle mehr. Und keiner wird sich dann das Recht herausnehmen - so folgert Paulus -, seine Mitchristen deswegen zu richten oder gar zu verachten, denn er weiß um die Eigenverantwortung des Einzelnen Gott gegenüber (Rö 14,12). Und er weiß auch, dass es Gott allein zusteht, Urteile zu fällen. Wo dieser Geist herrscht, wird das Miteinander trotz unvermeidlicher Unterschiede von der gemeinsamen Ausrichtung auf den Herrn und von gegenseitiger Achtung geprägt sein.
Aber betrifft dieses Wort von unserem Verhältnis zum Bruder oder zur Schwester in der Gemeinde nicht eigentlich auch unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen? Und wie gelingt es uns, das auch im Verhalten anderen gegenüber zu praktizieren? Distanzieren wir uns nicht viel zu oft von ihnen, weil sie für uns so befremdlich handeln oder reagieren?
Dabei braucht es gar nicht einmal so weit zu kommen, dass wir jemanden verachten, zurückstoßen oder verunglimpfen. In einer Zeit, in der so viel Fremdenangst, Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass zu beobachten sind, sollten Christen - ganz im Sinne der Mahnung des Paulus - durch ihr Verhalten positive Zeichen setzen, anstatt Öl ins Feuer zu gießen. Hat nicht Jesus für alle sein Blut vergossen?
Theodor Pfingstl
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.
