Andacht vom 12.05.2007:
Optisch reizbar
Und wenn dich dein Auge zur Sünde verführt, dann reiß es aus und wirf es weg. Es ist besser für dich, mit nur einem Auge ewig bei Gott zu leben, als mit beiden Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden. Matthäus 18,9 (Gute Nachricht Bibel)
Ist das nicht wieder eine dieser Drohungen, mit denen die Kirche im Mittelalter Druck auf das Volk ausübte? Nein, ist es nicht! Der Text stammt aus einem Abschnitt unter der Überschrift "Warnung vor Verführung". Was meinte Jesus mit seiner provozierenden Bemerkung?
Der Blickkontakt hat eine starke Wirkung - sowohl bei Menschen als auch Tieren. Tierpsychologen raten, unter bestimmten Umständen einem Tier nicht in die Augen zu sehen. Es könnte gefährlich werden. Das Auge ist sowohl Träger als auch Empfänger von Botschaften. Nicht erst in unserer Zeit, wo die Werbung mit allen psychologischen Tricks arbeitet, wird das Sehen und Ansehen zum Auslöser einer Tat.
Ob das Ansehen tatsächlich zu einer Tat führt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Etwa davon, wie weit ich die Eindrücke, die mir durch das Auge signalisiert werden, in mich hineinlasse. Jesus Christus erläuterte diesen Vorgang in der Bergpredigt: Wenn jemand die Frau eines anderen ansieht und sie haben will, "der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen" (Mt 5,28).
Hier geht es um einen bestimmten Ablauf: Sinneseindrücke werden aufgenommen, bewahrt, verstärkt und letztlich in eine Reaktion umgesetzt. Was oft nicht bedacht wird, ist die automatische Speicherung im Gehirn, auch wenn zunächst keine Tat folgt. Deshalb muss in diesen natürlichen Ablauf ein Filter "eingebaut" werden, damit es nicht zu Fehlhandlungen kommt.
Wenn dieser Kontrollmechanismus fehlt, dann rät Jesus zum Ausreißen des Auges. Das sei dann das kleinere Übel. Natürlich meinte er das nicht wörtlich, denn er hat eine bessere Lösung. Er führte mit seiner Aussage nur eine billige Entschuldigung der Pharisäer und Schriftgelehrten zu ihrem logischen Ende: Sie behaupteten, ihr Auge oder ihre Hand sei dafür verantwortlich, wenn aus der Versuchung Sünde wird (siehe Mt 5,20.28-30). Sie übersahen, dass das eigentliche Problem nicht im Auge, sondern im Herzen liegt, "denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl..." (Mt 15,19).
Die eigentliche Lösung des Problems mit dem Ansehen und der Verführung besteht in einer Herzensveränderung und der Kontrolle meiner Gedanken durch den Heiligen Geist.
Friedemann Mahlhus
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.