Andacht vom 23.06.2008:
Im Tunnel
Wenn du keinen Ausweg mehr siehst, dann rufe mich zu Hilfe! Ich will dich retten, und du sollst mich preisen. Psalm 50,15 (Hoffnung für alle)
Während des Zweiten Weltkrieges wurde meine Familie mit vielen anderen aus der Heimat vertrieben. Ich war damals zehn Jahre alt und litt sehr unter Heimweh. Meine Großmutter tröstete mich: "Wenn der Krieg zu Ende ist, können wir wieder nach Hause." Nach Kriegsende fanden wir in einem Sammellager Aufnahme. Dort erfuhren wir so nebenbei, dass man die Heimkehrer in der Heimat in Lagern umkommen ließ. Das machte uns Angst. Mit Gleichgesinnten weigerten wir uns, im nächsten Transport mitzufahren. Aber wir wurden mit Waffengewalt gezwungen, in den wartenden Zug einzusteigen. Mit 1.400 Personen fuhren wir in Richtung Süden. Ich war innerlich aufgewühlt und tief verunsichert. Meine Großmutter unterbrach das Schweigen: "Da kann uns nur noch der himmlische Vater helfen. Ich will zu ihm beten." Sie tat es mit Hingabe. Fremde Menschen um uns herum hörten andächtig zu. Langsam wurde ich ruhig.
Im Karawankentunnel vor der Grenze nach Jugoslawien blieb der Zug stehen. In der stockfinsteren Dunkelheit hörte ich Schritte und Stimmen, verstand aber nichts. Als der Zug weiterfuhr und es hell wurde, sah ich, dass es nicht vorwärts ging, sondern zurück. Keiner sagte etwas, wir schauten uns nur an. Bremsen quietschten, und wir hielten im Bahnhof Villach. Nach einer kurzen Pause kam der Befehl: "Ab nach Jugoslawien!" Wenige Kilometer Fahrt, Tunnel, Stopp, Schritte, Stimmen, dann Stille. Die Spannung war unerträglich. Plötzlich fuhr der Zug an, und wieder ging es rückwärts. Ängstlich dachte ich, hoffentlich passiert es nicht noch einmal. Doch, es geschah, und zum dritten Mal erlebten wir das Unglaubliche: Der Zug fuhr zurück! In Villach stiegen 700 Personen in einen anderen Zug um, und mit dem Jubelruf "Tito, Tito!" fuhren sie nach Jugoslawien.
Ich konnte es noch nicht glauben und war unfähig, zu verarbeiten, was geschehen war. Wieder fuhr der Zug an, diesmal Richtung Norden. Langsam ließ die Spannung nach, dann erst fühlten wir uns frei, wir waren gerettet. Dafür waren wir Gott aus tiefstem Herzen dankbar. Diese Gebetserhörung war eine überwältigende Erfahrung für mich, die meinen Glauben an Gott bis heute stärkt.
Wenn du einmal in deinem Leben keinen Ausweg mehr siehst, dann sprich mit Gott darüber, er kann und will dir helfen, und du sollst ihm dafür danken und ihn preisen.
Adam Schiller
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.