Andacht vom 22.09.2008:
Von der "Stillen Post" bis zur Tradition
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: "Du sollst deinen Nächsten lieben" und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Matthäus 5,43.44
In der katholischen Kirche ist für die Wahrheit und den Glauben nicht nur die Bibel maßgebend. Auf derselben Stufe stehen die Tradition und das Lehramt. In einem Buch über die Glaubenslehren der katholischen Kirche heißt es: "Es zeigt sich also, dass die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche ... so miteinander verknüpft und einander zugestellt sind, dass keines ohne die anderen besteht." (Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche, S. 108)
Für protestantische Christen ist das anders, sie berufen sich nur auf die Bibel als Maßstab des Glaubens. Jeder Gläubige soll das, was er glaubt und denkt, allein an der Bibel ausrichten und offen für Korrekturen sein, wenn seine Haltung nicht mehr im Einklang mit der Bibel ist.
In jeder Glaubensgemeinschaft bilden sich Traditionen. Die Gründer der Adventgemeinde haben - geprägt durch ihre Zeit - die Bibel ausgelegt und Maßstäbe für das christliche Leben entwickelt. Wir können viel davon lernen, wie unsere Vorfahren versucht haben, ihren Glauben in ihrer Zeit zu leben. Andererseits dürfen wir ihre Erkenntnisse nicht ungefragt übernehmen. Es war zwar nicht alles falsch, was "den Alten" gesagt wurde; aber vieles wurde im Laufe der Zeit noch hinzugefügt oder verändert und als Wort Gottes ausgegeben.
Beispielsweise steht im Alten Testament etwas von der Nächstenliebe, aber nichts davon, seinen Feind zu hassen (3 Mo 19,18). Überlieferung vermischt die Wahrheit der Bibel mit Auslegungen oder Lebenspraktiken, die in einer bestimmten Zeit vielleicht angemessen waren, aber nicht ewig gültig sind.
"Ich aber sage euch", ist der Auftrag an uns, unser Leben und unsere Überlieferungen über Lebensstil und Bibelauslegung immer wieder selbst am Wort Gottes zu prüfen. Nicht das, was in Büchern geschrieben steht, sei es noch so wertvoll, ist der Maßstab für uns, sondern die Bibel allein. Hören wir deshalb jeden Tag aufs Neue auf das Wort Gottes für uns.
Roland Nickel
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.