Andacht vom 21.11.2008:
Birnige Weisheiten
So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Darum: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Matthäus 7,17.20
Über 70 Jahre steht der alte Birnbaum schon in unserem Garten. Derjenige, der ihn einst pflanzte, ist längst gestorben. Viele Menschen haben sich schon über den knorrigen Baum lustig gemacht, auf dessen Ästen bereits Moos wächst. Bei Bauarbeiten wurde er verunstaltet und mit Erdaushub teilweise zugeschüttet. Seine Früchte erwiesen sich zunächst als unappetitlich und hart. Meist verarbeiteten wir sie daher in der Küche. In einem Jahr aber, Monate nachdem die Ernte längst vorbei war, entdeckten wir in einer Kellerecke noch einige übrig gebliebene Birnen. Sie hatten inzwischen eine gelbrötliche Farbe angenommen, ihre Härte verloren, ein vorzügliches Aroma entwickelt und strotzten vor Saft. Seitdem schätzen wir den alten Baum sehr und verteidigen ihn gegen alle, die ihn verachten. Gerne sitzen wir auch an heißen Sonnentagen in seinem Schatten.
Mancher Mensch erscheint uns wie dieser alte, unansehnliche Baum. Er hat keinen bedeutenden Namen und sieht nicht gerade vorteilhaft aus. Aber bei näherer Bekanntschaft lernen wir ihn schätzen, weil er uns viel zu geben vermag. Ein Sprichwort sagt: "Wenn mancher Mann wüsste, wer mancher Mann war', gab' mancher Mann manchem Mann manchmal mehr Ehr'".
Wir urteilen oft schnell auf Grund äußerer Eindrücke. Einer aber sieht mehr und "offenbart, was tief und verborgen ist" (Da 2,22): der allwissende und grenzenlos liebende Gott. Er kann uns die Augen öffnen, damit wir die verborgene gute Frucht beim Mitmenschen wahrnehmen. Er hilft uns, auch den Einen zu erkennen und anzubeten, den viele verachten. Von ihm steht geschrieben: "Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet." (Jes 53,2-3) Wer diesen "Verachteten" erkennt, ihn liebt und schätzt, für den wird er zum Lebensbaum. Mit ihm verbunden kann auch ich - ob äußerlich unscheinbar oder nicht - ein Baum werden, der gute Früchte bringt.
Siegfried Wixwat
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.