Andacht vom 14.05.2009:
Vom Reibebaum und andern Sturschädeln ...
Seid vielmehr freundlich und barmherzig, und vergebt einander, so wie Gott euch durch Jesus Christus vergeben hat. Epheser 4,32 (Hoffnung für alle)
Vor der Tür des Bürgermeisterbüros steht ein roter Polstersessel. Sein Bezug wirkt schon etwas abgeschabt, und trotzdem steuern die Besucher diesen Sessel an und verschmähen den kunstvoll geformten Holzstuhl daneben. - Eines Tages räuspert sich der Holzstuhl und klagt: "Ich kann die Menschen nicht verstehen. Man hat mich nach dem Muster eines berühmten Stuhles gebaut. Mein großes Vorbild steht im Hessischen Landesmuseum und wurde in vielen Jugendstilkatalogen abgebildet. Mein Holz ist fest, die Verleimung stabil. Die Oberfläche ist so glatt poliert, dass nicht einmal ein Seidentuch daran hängen bliebe. Ja, ich bin ein prämiertes Kunstwerk - und trotzdem will keiner auf mir sitzen. Woher kommt es, dass man dich dermaßen bevorzugt?" - "Nun", sagte der Sessel verbindlich, und lächelte: "Ich gebe nach ..."
Zivilcourage und Eifer für die Wahrheit sind lobenswerte Tugenden. Sie können aber auch verletzen und schaden. Oft denken wir: "Ich kämpfe für eine gerechte Sache! Ich verteidige die Wahrheit! Ich muss meine Mitmenschen vor einem folgenschweren Irrtum bewahren!" und gebärden uns hölzern oder gar angriffslustig wie damals Simon Petrus, der das Schwert zog, um seinen Herrn Jesus zu "retten". Dabei schlug er nur einem Mitmenschen das Ohr ab. Wie oft habe ich schon engagiert gestritten und argumentiert und das Wort Gottes wie eine Waffe geschwungen, und mit meiner Rechthaberei verhindert, dass ein anderer auf Gottes Stimme hört?
Gottes Geist will die Härten in unserem Wesen abschmirgeln, damit wir nicht ständig anecken, andere vor den Kopf oder ans Schienbein stoßen. Gut, wenn wir hier auf der Erde schon mal üben, höflich und freundlich zu sein. In der neuen Welt würde es höchst ungemütlich, kämen wir heute schon dorthin mit der Neigung, ein "Holzkopf" zu sein, starrsinnig auf die eigene Meinung fixiert, als wäre dies "die absolute Wahrheit", immer bereit zu ätzender Kritik, die wir anderen vor die Füße werfen wie einen Fehdehandschuh.
Vielleicht haben wir das Kritisieren und Meckern sogar zur Kunstform erhoben - attraktiver werden wir dadurch für unsere Mitmenschen nicht! Was dagegen macht uns weich und warm? Das Nachdenken darüber, wie viel uns Gott vergeben hat!
Sylvia Renz
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.
