Andacht vom 07.11.2009:
Dieser nimmt die Sünder an! Entsetzlich ...!
"Der Geist des Herrn ist auf mir [Jesaja], weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen ..." Lukas 4,18a
Einen höchst seltsamen Lebenslauf hatte er vorzuweisen, dieser Rabbi aus Nazareth. Geboren im eher kleinbürgerlich-provinziellen Bethlehem, aufgewachsen in einem verrufenen Milieu von Nazareth, ganz ohne Schulbildung, und dann verkroch er sich auch noch für Jahre in der Tischlerei seines Vaters, statt möglichst bald mit irgendeinem tiefsinnigen Aufsatz oder einem entsprechenden Rede-Beitrag zur theologischen Diskussion an die Öffentlichkeit zu treten. Und als es dann schließlich soweit war, ging er nicht nach Jerusalem in den Tempel, sondern auf eine ganz gewöhnliche Hochzeit, deren Ausrichter so knapp bei Kasse waren, dass sie sich nicht einmal genügend Wein leisten konnten, um ihre Gäste zu versorgen.
Kein Wunder, dass die geistige und geistliche Elite seines Landes nicht mit ihm klar kam. Was war das auch für ein Lebensmotto: "Gesalbt, zu verkündigen das Evangelium den Armen"! Aber genau das tat er dann auch, und zwar mit so viel Hingabe und solchem Erfolg, dass es den Frommen schließlich zu viel wurde. Einen "Fresser und Weinsäufer" schimpften sie ihn, weil er sich viel mehr für die "Kranken" als für die vermeintlich Vorbildlichen und Glaubenstreuen interessierte.
Ja, ganz offensichtlich hatte er eine ausgeprägte Schwäche für die Randsiedler der Gesellschaft - und sie hingen buchstäblich an seinen Lippen, weil seine Worte gerade ihnen, nach denen niemand mehr fragte, ganz neue Perspektiven des Lebens eröffneten. Und dabei achtete er niemals auf den gebotenen Anstandsabstand, sondern machte sich für die Tauben, Blinden, Lahmen und Verstoßenen sogar buchstäblich die Finger schmutzig (s. Joh 9,6f.).
In ihrer Nähe fühlte er sich offenbar so richtig wohl, denn gemeinsam mit ihnen überschritt er nicht selten auch die letzten Grenzen des guten Geschmacks: "Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen." (Lk 15,1.2) Für sie war es das schlimmste denkbare Vergehen - für ihn war es der Sinn seines Lebens und Dienstes.
"Dieser nimmt die Sünder an!" Genau so war es damals. Und weil sich daran - Gott sei Dank! - bis heute nichts geändert hat, gibt es auch für unser Leben Hoffnung.
Friedhelm Klingeberg
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.