Andacht vom 04.01.2013:
Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun? Psalm 118,6
Das sagt sich so leicht: "Was können mir Menschen tun?" Menschen können ihresgleichen leider unendlich viel antun. Das beweisen mehrere Tausend Jahre Geschichte voller Gewalt und Grausamkeit. Und selbst heute - in einer Zeit relativen Friedens und Wohlstands - passieren in unserem Land, in dem wir durch eine der besten Verfassungen der Welt geschützt sind, schreckliche Dinge: Menschen töten Menschen, Eltern missbrauchen ihre Kinder, Ehepartner zerstören sich gegenseitig durch "Rosenkriege", Arbeitnehmer mobben ihre Kollegen, Arbeitgeber machen Existenzen kaputt.
Dabei muss es nicht immer dramatisch zugehen. Die gegenseitigen Unterdrückungsmechanismen wirken oft unterschwellig. Auch der sogenannte moralische Druck, der bei Christen beliebt ist, kann Menschen extrem einengen: "Du kümmerst dich gar nicht um mich!" oder: "Wenn du für Gott arbeitest, musst du vollen Einsatz bringen!"
Während eines segensreichen Aufenthalts in einer psychosomatischen Klinik habe ich eine Therapiegruppe besucht, in der es um "soziale Kompetenz ging". In dieser Gruppe habe ich sehr viel gelernt. Gemeinsam übten wir, wie man mit zwischenmenschlichem Druck in der Familie und am Arbeitsplatz umgeht, wie man Nein sagt, wie man Distanz gewinnt und Beziehungen mit gegenseitigem Respekt gestaltet. Wir hatten viel Spaß bei unseren Rollenspielen, haben aber auch Erkenntnisse über die eigenen Druckmechanismen gewonnen.
In seinem wunderbaren Buch Wenn ich nur noch einen Tag zu leben hätte schreibt Anselm Grün: "Gib keinem Menschen Macht über dich, gib der Arbeit, dem Geld, den Umständen keine Macht über dich! Du bist in Gottes Hand und gehörst Gott. Wenn du das nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit deinem Herzen glaubst, dann bist du wirklich frei." (S. 43)
Als ich diesen Text zum ersten Mal las, habe ich mir fest vorgenommen, mein Leben nicht mehr von Menschen oder Umständen bestimmen zu lassen. Und doch bekomme ich gelegentlich das Gefühl, dass Andere die Regie über mein Leben übernehmen. Dann sage ich mir immer wieder: "Du bist in Gottes Hand und gehörst Gott!" Das gilt für jeden Tag - auch für heute.
Heidemarie Klingeberg
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.