Andacht vom 19.03.2014:
Ich hoffe, dass es dir gut geht und du an Leib und Seele so gesund bist wie in deinem Glauben. 3. Johannes 1,2 (Hoffnung für alle)
Neulich habe ich mit meinem Sohn geschimpft. Er sollte sich den Schlafanzug anziehen, und mir ging es nicht schnell genug. Ich war schon drauf und dran, ihm deswegen die Gutenacht-Geschichte zu streichen, als meine Frau eingriff, und mich aus dem Zimmer schickte, damit ich mich "abregen" konnte.
Mir fiel auf, dass ich an diesem Tag heftiger als sonst reagierte, obwohl ich die "Verzögerungstaktik" meiner Kinder vor dem Schlafengehen gewohnt bin. Das lag wohl daran, dass ich in der Nacht zuvor wenig geschlafen hatte und ein außergewöhnlich hektischer Arbeitstag hinter mir lag. Als ich schließlich nach Hause kam, war ich müde und genervt. Aber nach der "Schimpfkanonade" meinem Sohn gegenüber fühlte ich mich keineswegs schuldig, übertrieben reagiert zu haben. Hatte mein Gewissen versagt?
In einem komplizierten Experiment haben Forscher der Universitäten Genf und Ohio (USA) herausgefunden, dass Menschen tatsächlich weniger Schuldgefühle entwickeln, wenn sie erschöpft sind (DIE WELT vom 25.5.12). Sie zeigen weniger Einfühlungsvermögen und können leichter zu Handlungen bewegt werden, die sie moralisch ablehnen.
Paulus schrieb, dass Gott zu den Menschen auch durch die Stimme ihres Gewissens spricht (Röm 2,14-15). Dieses wird durch die Erziehung mitgeprägt und sagt uns, was gut und böse ist. Viele Menschen leiden jedoch dauerhaft unter Stress und mentaler Erschöpfung, was nachweislich ihr moralisches Empfinden schwächt. Immer erreichbar sein, sofort reagieren müssen, keinen echten Feierabend haben - die postmoderne Arbeitswelt erschwert nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern untergräbt auch die Moral. Daher ist es nicht nur ein frommer Wunsch, den der Apostel Johannes in unserem Andachtstext an seinen Freund Gajus richtet, sondern ein echtes Anliegen Gottes. Nicht umsonst hat er uns mit dem Sabbat einen wöchentlichen Ruhetag verordnet, damit wir neue Kraft schöpfen können - körperliche, seelische und moralische (2 Mo 20,8-11).
Nach einer kurzen Ruhepause regte sich auch mein Gewissen und es tat mir leid, dass ich zu streng mit meinem Sohn gewesen war. Ich bat ihn um Verzeihung, und wir beide konnten wunderbar schlafen.
Thomas Lobitz
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.