Andacht vom 16.08.2014:
Jeder soll dem anderen helfen, seine Last zu tragen. Auf diese Weise erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gegeben hat. Galater 6,2 (Hoffnung für alle)
Kürzlich wurde ich Zeuge einer rührenden Geschichte in einem Seniorenheim, die diese Aufforderung des Apostels Paulus illustriert. Dort half eine blinde Bewohnerin einer dementen Dame: "Kommen Sie, das ist Ihr Platz. Sie sitzen doch immer hier." Sehenden Auges erkannte Erstere weder den Raum, noch ihren Stammplatz; die Andere hatte auch ohne Augenlicht den Durchblick und half behutsam und liebevoll.
"Wissen Sie, wenn ich einen Brief bekomme, gehe ich zu meiner Mitbewohnerin", erzählte sie mir später. "Die liest ihn mir dann ganz klar und deutlich vor." Zwei Schwache stärkten sich gegenseitig, indem sie ihre Stärken nutzten.
Mir fiel beim Andachtstext die Ballade "Der Blinde und der Lahme" von Christian Fürchtegott Gellert ein. Der Autor lässt den Blinden zum Lahmen sprechen:
Entschließe dich, mich fortzutragen, so will ich dir die Stege sagen.
So wird mein starker Fuß dein Bein, mein helles Auge deines sein.
Gellert formulierte darauf "die Moral von der Geschicht":
Du hast das nicht, was andre haben, und andren mangeln deine Gaben.
Aus dieser Unvollkommenheit entspringet die Geselligkeit.
Manchmal kommen wir nicht recht vorwärts, unsere Gedanken scheinen wie gelähmt zu sein - wie hilfreich ist es dann, wenn wir Hilfe bekommen oder auch nur einen Anstoß. Manchmal haben wir nicht den klaren Blick für die Lage - wie gut, wenn dann ein Wort Klärung schafft, ob es ermunternd oder ermahnend ist. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selbst sagen."
Wir sind alle ergänzungsbedürftig - aber sind wir auch ergänzungsfähig? Gelingt das gegenseitige Geben und Nehmen in der Familie, im Beruf, in der Gemeinde? Gut, wenn wir Manfred Siebalds Liedtext zustimmen können:
Keiner ist nur immer schwach, und keiner hat für alles Kraft.
Jeder kann mit Gottes Gaben das tun, was kein andrer schafft ...
Gut, dass wir einander haben ...!
(Leben aus der Quelle, Nr. 249)
Werner Jelinek
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.