Andacht vom 23.02.2005:
Ehrfurcht
Wer kann bestehen vor dem Herrn, diesem heiligen Gott? 1. Samuel 6,20
Der italienische Philosoph und Sprachwissenschaftler Umberto Eco (geb. 1932), einem breiten Publikum bekannt durch "Der Name der Rose", schreibt: "Mir ist es nie passiert, dass ich mich genötigt oder versucht sah, gegenüber einer Frau, die sich als schwanger durch mein Zutun erklärte, zur Abtreibung zu raten oder in ihren Wunsch nach Abtreibung einzuwilligen. Wäre ich je in die Situation geraten, hätte ich alles getan, um sie zu überreden, das Kind zu gebären, was immer der Preis sein würde, den wir beide hätten bezahlen müssen. Denn ich bin der Meinung, dass die Geburt eines Kindes etwas Wunderbares ist, ein natürliches Wunder, in das man einwilligen muss. Dennoch wäre ich nicht bereit, meine ethische Position ... allen anderen aufzuzwingen. Ich denke, es gibt schreckliche Momente, von denen wir Männer sehr wenig wissen..."
Was hat den Nichtchristen Eco zu dieser Einstellung gebracht? Es ist die Überzeugung, dass es "das Heilige" gibt: "etwas, das uns übertrifft" und uns "eine Grenze setzt", etwas, dem wir in Ehrfurcht verpflichtet sind.
Unser Textwort stammt aus dem uralten Bericht vom Diebstahl der Bundeslade durch die Philister. Auch damals war die Ehrfurcht vor dem Heiligen beschädigt. Unglück kommt über das Land. Die Lade soll zurück nach Israel! Doch die Israeliten missachten die dem Menschen gesetzte Grenze und erfahren Gottes Gericht.
Das Wort der Heiligen Schrift ruft uns zur Ehrfurcht: vor Gott und seinem Gebot, zur Ehrfurcht auch vor dem Wunder des Lebens und zum Respekt vor dem Geheimnis, das jeder Mensch in sich birgt und das wir seine Persönlichkeit nennen. Eine ehrfurchtslose Welt wäre eine sich selbst zerstörende Welt.
Das Heilige oder deutlicher: der Heilige ist nicht nur der Warnende, Ehrfurcht Fordernde, sondern zugleich der Liebende, Schenkende, der uns in das Kraft feld des Segens ziehen möchte. Denn bei Gott sind Gnade und Hilfe in Fülle.
Dieter Leuten
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.