Andacht vom 02.05.2005:
Segen und Fluch
Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an den Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied! 2. Mose 34,6.7
Ich stehe am Fenster, sehe jemanden vorübergehen - ein flüchtiger Eindruck nur, folgenlos, rasch vergessen. Gottes "Vorübergehen" aber hat Konsequenzen, tief eingreifend ins Einzelschicksal und in die Geschichte der Völker. Mose durfte die Liebe Gottes schauen. Was uns heute wie eine Aneinanderreihung sinnähnlicher Wörter vorkommt - von "barmherzig" bis "Treue" - , ist in Wirklichkeit eine Stufenleiter: höchste Steigerung göttlichen Erbarmens.
Auch die Missetaten, die genannt werden, bilden eine Stufenleiter. Das Schlimmstmögliche, Finsterste, ist Gott bereit zu vergeben (im Grundtext: zu tragen), über Tausende Generationen hin, faktisch ohne Ende. Dann aber kommt das schwere Wort von der Heimsuchung bis ins dritte und vierte Glied. Das sind die vier Generationen, die damals als Sippe zusammenlebten. Heute würden wir von der Familie, der Gemeinde oder vom Volk sprechen. Schuld und Gericht treffen uns gemeinsam (nicht auch Vergebung und Gnade?).
Nicht jedes Bibelwort enthält eine einfache, auf Anhieb verständliche Botschaft. Gottes Weisheit und Güte gehen weit über unser Begreifen. Er bleibt immer souverän, wir können ihn nicht in unsere Vorstellungen zwingen, auf unsere Ansprüche festnageln. Aber wir dürfen immer seiner unendlichen Gnade vertrauen.
Dieter Leuten
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.