Andacht vom 15.05.2005:
Der Vertreter
Und wenn er kommt, wird er der Welt darüber Klarheit geben, wie sich's verhält mit Sünde, mit Gerechtigkeit und mit Gericht. Johannes 16,8 (Albrecht)
Diese Aussage ist dem Abschiedsgespräch Jesu mit seinen Jüngern entnommen. Nach seinem Weggang dürften sie auf eine vollwertige Vertretung seiner Person rechnen. Der Heilige Geist würde verstärkt und umfassend das Wirken des Herrn fortsetzen. Diese Tätigkeit bezeichnete der Meister mit einem Begriff aus der Gerichtssprache: überführen. Wie in einem Prozess die Schuld des Angeklagten durch Zeugen und mit Beweisen belegt wird, wo wird der Heilige Geist zunächst als Ankläger auftreten und Unrecht wie Irrtum nachweisen. Wird das nur bei Verstockten nötig sein? Sind Glaubende immer einsichtsvoll und reumütig? Beide Fragen müssen wir verneinen.
Von David ist ein Gebet überliefert, in dem er fleht: "Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine." (Ps 139,23) Warum möchte David denn, dass in die Geheimkammern seiner Gedanken geleuchtet wird? Der natürliche Drang unseres Herzens zielt auf Verheimlichen und Verschleiern. Doch Klarstellung ist immer nötig, damit kein Giftherd zurückbleibt. Ohne den heilsamen "Straf-Dienst des Gottesgeistes wären die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt.
Der Heilige Geist will uns zu einer dreifachen Erkenntnis verhelfen: über Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Die Aufeinanderfolge ist bedeutsam. Vergebung wie auch Verdammung erfolgen erst nach Aufdecken der Wirklichkeit. Keiner wird gerettet oder gerichtet, ohne vorher die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis gehabt zu haben. Wir können uns im Einzelnen nicht vorstellen, wie der Gottesgeist diese Einsicht vermittelt. Der Herr verfügt über vielfältige Wege, von denen wir keine Ahnung haben. Niemand wird sich einst mit Unwissenheit entschuldigen können!
Ludwig Martin
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.