Andacht vom 06.09.2005:
Zu hohe Erwartungen
Werdet doch einmal recht nüchtern und sündigt nicht! Denn einige wissen nichts von Gott; das sage ich euch zur Schande. 1. Korinther 15,34
Viele, die zur Gemeinde kommen, sind nach einiger Zeit enttäuscht. Sie finden nicht, was sie erwartet haben. Sie entdecken das Alltagsgesicht der Gemeinde: menschliches Versagen, Gleichgültigkeit und anderes. "Und das wollen Christen sein!" Doch diese Enttäuschung ist heilsam, man muss durch sie hindurch. "Gott hasst die Träumerei, denn sie macht stolz und anspruchsvoll." (Bonhoeffer)
Erst wenn mein Traumbild von der Gemeinde zerbricht, kann ich ihr wahres Wesen erkennen. Uns verbindet Jesu Tod am Kreuz, die Tatsache, dass er für dich und mich sein Leben gegeben hat. Ob wir uns gegenseitig lieben oder nicht: Er liebt dich und mich. Sollten wir uns darum nicht auch untereinander lieben können?
Die Gemeinde ist nicht in erster Linie dazu da, Erwartungen zu befriedigen. Erwartungshaltung ist gefährlich, weil Enttäuschung nicht ausbleibt. Dann kommt der Rückzug in den Schmollwinkel. Jemand hat einmal gesagt: Die Gemeinde ist dazu da, die Geheimnisse Gottes zu feiern. Die Geheimnisse? Ja, das Wort Gottes, das Kreuz, die neu geschaffene Erde, den Sabbat als Gottes Ruhetag für uns Menschen. Wir könnten die Reihe fortsetzen. Wo anders als in der Gemeinde erleben wir diese Feier?
Wenn mir das nicht genügt, wenn ich mir mehr Zwischenmenschliches, mehr Wärme wünsche, dann sollte ich wissen: Auch das kann Gott schenken. Aber zuvor wollen wir dankbar sein, dass wir überhaupt die Gemeinde haben. Gott gibt nicht das Zweite vor dem Ersten.
Dieter Leutert
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.