Andacht vom 01.04.2006:
Ruhig Blut!
Geduld bringt weiter als Heldentum; sich beherrschen ist besser als Städte erobern. Sprüche 16,32 (Gute Nachricht Bibel)
Auf der Straße behindert ein Müllfahrzeug den Verkehr. Noch sind einige Container zu leeren. Plötzlich tritt mein Vordermann aufs Gaspedal und versucht, über den Fußweg vorbei zu kommen. Aber es reicht nicht, er streift das robuste Gefährt und reißt sich den Kotflügel auf. Mit rotem Kopf steigt er aus und betrachtet den Schaden, während die Müllmänner kopfschüttelnd den letzten Container leeren und die Weiterfahrt freigeben.
Im Supermarkt sind nur zwei Kassen geöffnet. Ich stelle mich dort an, wo es zügig vorangeht. Da wird eine dritte Kasse aufgemacht. Aber ich komme zu spät und sehe, wie die Frau, die eben noch hinter mir stand, nun vor mir bedient wird!
Als der weise Salomo seine Betrachtungen über Geduld und Selbstbeherrschung anstellte, hat er noch nicht an den Stau bei der Müllabfuhr oder an der Supermarktkasse gedacht. Aber offenkundig ist er aus Beobachtung und eigener Erfahrung zu dem Ergebnis gelangt, dass Geduld weiterbringt als Heldentum und dass Selbstbeherrschung höher zu werten ist als Draufgängertum. Heute scheint er damit nicht mehr ganz im Trend zu liegen. Allerdings war er nicht nur erfolgreicher Staatsmann und Diplomat, sondern auch international geachteter Jurist und gefragter Ratgeber.
Geduld ist mehr als passives Abwarten, unentschlossenes Zögern oder die natürliche Mitgift des Phlegmatikers. Sicher lassen sich Geduld und Selbstbeherrschung bis zu einem gewissen Grade einüben. Aber manchmal werden dabei die eigentlichen Gefühle nur mühsam unter der Decke gehalten - und das hat Salomo sicher nicht gemeint und beabsichtigt.
Also muss es neben dem Training dieser hilfreichen Eigenschaften noch andere Bezugsquellen geben. Tatsächlich: Im Notfall, wenn ich kurz davor bin, "aus der Haut zu fahren", reicht es vielleicht noch für das Stoßgebet: "Lieber Gott, lass mich jetzt ruhig bleiben und besonnen reagieren." Wenn das gelingt, hält Salomo eine Anerkennung bereit: "Ein Mensch, der ruhig bleibt, zeigt, dass er Einsicht hat; wer aufbraust, zeigt nur seinen Unverstand." (Spr 14,29 GNB) Liegt seine Botschaft vielleicht doch voll im Trend?
Johannes Fiedler
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.
