Andacht vom 02.04.2006:
Metallzeitalter
Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten. Jesaja 46,4
Kürzlich neckte mich ein Bekannter wegen meiner grauen Haare. Er bescheinigte mir damit den Anbruch des Metallzeitalters: Silber in den Haaren, Gold in den Zähnen und Blei in den Knochen. Das klingt lustiger, als es tatsächlich ist. Es gibt sie wirklich: die "bösen Tage", von denen wir sagen "sie gefallen mir nicht" (Pred 12,1). Beim Besuch in Krankenhäusern und Heimen erleben wir, wie Menschen an der Last des Alters zu fragen haben. Wir sehen auch Leid, das uns nach Worten ringen lässt. Trostworte kommen uns nur mühsam über die Lippen. Wir empfinden unser Reden, auch das gut gemeinte, als unangemessen und hohl.
Aber wir haben auch das schon erfahren: Wir traten bedrückt ans Krankenbett und gingen gestärkt nach Hause. Der Kranke hatte uns mit seinem Lebensmut angesteckt.
"Warum sollte ich nicht altern? Ich habe es mir durch meine Jahre verdient", sagte Sigismund von Radecki. Jean Amery dagegen schrieb, als er kaum die Schwelle des Alters überschritten hatte, ein Buch mit dem Titel "Der Skandal des Alters".
Der eine sah im Alter einen unverzeihlichen Unfall. "Skandal!", rief er und protestierte gegen die Mächte der Zerstörung. Nichts anderes konnte er im Alter entdecken. Der andere vertraute der ihm zugewiesenen Rolle; zugemutet und zugetraut von einem, der die Kräfte und Grenzen seiner Kinder kennt.
Über die Rosskastanie sagt man: "Wie trägt sie bloß ihr hartes Los in Straßenhitze und Gestank? Und niemals Urlaub, keinen Dank! Bedenkt: Gott prüft sie so nicht nur, er gab ihr auch die Rossnatur".
Und ich? Wie geht es mir, wenn ich daran denke, was alles noch auf mich zukommen kann? Zwei Seelen sind in meiner Brust. Amerys Aufbegehren ist mir nicht fremd. Und doch sehne ich mich danach, so getrost wie Radecki zu sein.
Wie ertragen wir das Alter? Die Wahrheit des Andachtstextes kann uns helfen: Wir werden getragen. Gott sagt: "Ich will euch tragen."
Werner Jelinek
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.