Andacht vom 01.07.2006:
Ob das wohl geht?
An allen Tagen will ich dich preisen. Psalm 145,2 (Jerusalemer Bibel)
Ein Sprichwort lautet: "Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben." Keiner weiß am Morgen, wie der Tag verlaufen wird, ob er mehr Freude oder mehr Ärger bringt. Deshalb ist es schon eine gewagte Sache, zu singen oder zu sagen: "Immer fröhlich, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein." Fast ist man geneigt hinzuzufügen: "Immer nur lächeln, immer vergnügt, aber..." Schließlich ist es doch bei jedem Menschen so, dass eine Reihe von Tagen im Jahr "grauer Alltag" ist, Tage zwischen Schwarz und Weiß. Sie sind weder gut noch schlecht, bringen sowohl Freude als auch Ärger, und man kann sie weder preisen noch verwünschen. Erst am Abend lässt sich beurteilen, ob Schwarz oder Weiß überwogen hat.
Aber halt: Geht es in unserem Bibelwort überhaupt darum, ob man den Tagesverlauf rückblickend preisen oder verwünschen kann? David formuliert hier seine persönliche Lebenseinstellung und Glaubenshaltung. Unabhängig von der Situation des Augenblicks - ob im "Finstern Tal" oder auf der "grünen Aue" (Ps 23,2.4) - wusste er sich jederzeit unter der Obhut Gottes und konnte aus Erfahrung bekennen: "Du, HERR, bist ja bei mir, du schützt mich und führst du mich, das macht mir Mut." (Ps 23,4 GN)
Darauf kommt es an: an allen Tagen des Jahres, an allen Tagen des Lebens die Überzeugung und Gewissheit zu haben, dass der Herr gegenwärtig und nahe bei mir ist. Das schließt nicht aus, dass es auch Tage der Krankheit, der Angst und Traurigkeit gibt. Jesus sagte seinen Zuhörern damals und uns heute: "jeder Tag hat seine eigene Plage." (Mt 6,34) Das wollen wir nüchtern zur Kenntnis nehmen und deshalb nicht in schwärmerische Gefühle verfallen - aber eben auch nicht in todernste, unfrohe und trübe Endzeitstimmung. "Wer trübe Fenster hat, dem erscheint alles grau." Wer aber klare "Fenster" zum Himmel, sprich: eine persönliche Beziehung zum lebendigen Herrn Jesus hat, der kann getrost und freudig bekennen: "An allen Tagen will ich dich preisen."
Hermann Beier
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.