Verfasser: | Dr. Wolfgang Pohl |
Erschienen in: | Top Life Magazin 2 / 2008 |
Die tödliche Toleranz
Mitraucher statt Nichtraucher
Bereits 1972(!) wurde im U.S. Gesundheitsbericht auf die Folgen des Passivrauchens hingewiesen. Mehr als drei Jahrzehnte mussten vergehen, bis das Passivrauchen in den weltweiten Gesundheitsorganisationen als relevante Beeinträchtigung der Gesundheit aufgenommen wurde. Trotz dieser Erkenntnis dringt das Wissen um die Schädlichkeit des Passivrauchens erst allmählich in die medizinische Fachwelt ein. Deshalb mag es nicht verwundern, dass in der allgemeinen Bevölkerung das Ausmaß der Gesundheitsschädigung des Passivrauchens noch nicht so bekannt ist.
Wie heftig der Kampf zwischen der Tabakindustrie und den Gesundheitsbehörden abläuft, demonstriert der im Jahre 1998 beendete Prozess. In der ersten Instanz wurde das Passivrauchen von Richter William Osteen als nicht krebsauslösend beurteilt. William Osteen war vor seiner Tätigkeit als Richter über Jahre für die Tabakindustrie als Anwalt tätig gewesen.
Das Urteil wurde von der U.S. Gesundheitsorganisation EPS angefochten. In der nächsten Instanz wurde dieser Gesundheitsorganisation Recht zugesprochen. Die Tabakindustrie vermied den nächsten Gang zum Obersten Gerichtshof, da die wissenschaftliche Datenlage um die krebsauslösende Wirkung des Rauches zunehmend klarer wurde.
Das Passivrauchen ist mittlerweile zum festen Bestandteil der Luftverunreinigung weltweit geworden. Millionen von Menschen sind davon betroffen. Tabakrauch ist der gefährlichste Innenraumschadstoff und die Hauptursache von Luftverschmutzung in Innenräumen (Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO, Konsensusbericht 1999).
Die Giftmülldeponie Im Zigarettenrauch sind über 4.000 verschiedene Substanzen enthalten; darunter äußerst giftige wie Blausäure, Ammoniak, Formaldehyd, Kohlenmonoxid, Nickel und Nikotin. Über 60 davon sind teils hochgradig krebserregend wie z.B. die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, N-Nitrosamin, Benzol, Arsen, Cadmium und das radioaktive Isotop Polonium 210. Für die krebserregenden Stoffe (Kanzerogene) kann kein unbedenklicher Grenzwert definiert werden. Das heißt: Auch geringe Belastungen können zur Entstehung von bösartigen Tumoren führen.
In der Definition ist der Passivrauch der Rauch, der von der glimmenden Zigarette in die Umgebungsluft entweicht (Nebenstromrauch). Er ist vom Rauch zu unterscheiden, der vom Rauchenden ausgeatmet wird (Hauptstromrauch). Der Hauptanteil des Passivrauchs besteht zu 80% aus dem Nebenstromrauch. Der Hauptstromrauch entsteht bei 950 °C und Nebenstromrauch bei 500 °C. Aufgrund der geringeren Temperatur bei der Entstehung enthält der Nebenstromrauch mehr giftige und krebserregende Stoffe. Die Art der Verbrennung des Tabaks bestimmt somit direkt die Gefährdung durch Passivrauch.
Je weniger stark und häufig ein Raucher an einer Zigarette zieht, desto mehr Schadstoffe werden freigesetzt, weil der Tabak nur unvollständig verbrennt. Somit verändert sich während des Glimmens die Zusammensetzung des entstehenden Rauches enorm. Krebsauslösende Nitrosamine sind im Nebenstromrauch vierhundertfach höher konzentriert als im Hauptstromrauch. Dies unterscheidet Tabakrauch von vielen anderen Emissionen.
Mitraucher statt Nichtraucher
Der von glimmenden Zigaretten in die Raumluft freigesetzte Nebenstromrauch wird passiv von den anwesenden Menschen über die Atmung aufgenommen. Dies geschieht ebenso beim Einatmen von Pfeifen- und Zigarrenrauch.
Die Inhaltsstoffe des Passivrauchs gelangen als gasförmige und als partikelförmige Substanzen (Feinstaub) in die Umgebungsluft. Die kleinsten Teilchen mit einer Größe von 1 bis 10 Mikrometer (zum Vergleich, ein rotes Blutkörperchen hat eine Größe von 7 Mikrometern) können bis tief in die Lungen gelangen und dort über die Blutbahn im gesamten Körper verteilt werden. Die feinen Rauchpartikel können sich auch in den Räumen an Wänden, Decken, aber auch Gegenständen wie Möbeln anlagern und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn nicht mehr geraucht wird, an die Umgebungsluft abgegeben und eingeatmet werden. Die Feinstaubbelastung von Innenräumen kann hierdurch oft 10- bis 20-mal höher liegen als die im Freien erlaubten Werte!
Messungen von Feinstaub in Restaurants und Cafés zeigten, dass die Belastung von lungengängige Feinstaubpartikel gegenüber der Außenluft um ein Vielfaches höher ist. MitarbeiterInnen haben in Gastronomiebetrieben ein um 50% höheres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Langfristig sterben 1,4% aller nicht rauchenden Gastronomiemitarbeiter an den Folgen des Passivrauchens (Britisch Medical Journal 2005).
Nach wissenschaftlichen Studien können auch leistungsstarke Lüftungsanlagen keine effektive Entlüftung ermöglichen. Die Entlüftung müsste praktisch so stark sein, dass sie einem Sturm gleichkommt (Deutsches Krebsforschungszentrum). Die Frage nach der Messung der Nikotinbelastung in Betrieben und öffentlichen Orten beschäftigt die Wissenschaft. Sie ist notwendig zur Risikoabschätzung der von Tabakrauch verursachten Erkrankungen. Hier wird auch die Cotinin Messung im Blut herangezogen. Cotinin ist ein Abbauprodukt des Nikotins. Raucher haben eine Blutkonzentration von 1.000 – 2.500 Nanogramm pro Milliliter Blut. Zum Vergleich: Ein Mitarbeiter im Restaurant hat bis 2,6, ein Diskothekenbesucher bis 24 und ein Barbesucher bis 45 Nanogramm pro Milliliter Blut. Ein Nichtraucher hat bis 1,7 Nanogramm pro Milliliter Blut, da Cotinin auch in bestimmten Gemüsesorten enthalten ist.
Wer nichts riskiert – lebt gesünder
Trotz der erschütternden Fakten wird es wahrscheinlich noch eine ganze Weile dauern, bis das Ausmaß bezüglich der Risiken des Passivrauchens in breiten Kreisen erfasst wird.
Die kontroversiell geführte Diskussion zum Arbeitnehmerschutz im Gastronomiebereich spiegelt die Einstellung der Bevölkerung wider. Das Recht auf individuelle Entscheidungsfreiheit wird hierbei als Argument gegen rauchfreie Gaststätten gebraucht. Gegen die Freiheit zur Entscheidung ist prinzipiell nichts einzuwenden, nur sind in einer Gemeinschaft Regeln zum Schutz der Allgemeinheit notwendig.
Als besonders Betroffene sind unsere Kinder, vor allem die ungeborenen, anzuführen, da sie besonders empfindlich auf das Passivrauchen reagieren und sich am schlechtesten wehren können. Entsprechende öffentliche Informationskampagnen wären wünschenswert.
Die Tabakindustrie ist, wie die Geschichte des Rauchens lehrt, äußerst kreativ. Als aktuelle Gegenstrategie legt sie derzeit offen die Karten auf den Tisch. Phillip Morris ist der größte U.S. Tabakkonzern, der sich als verantwortungsvoller Hersteller von gesundheitsschädigenden Produkten sieht. Er weist darauf hin, dass auch Passivrauchen nachweislich Lunge, Herz und andere Organe schädigt. Trotzdem verkauft er sein Erzeugnis mit allen rechtlich erlaubten Mitteln – nach dem Motto "Zigaretten sind riskant – so wie das Leben auch!"
Verursachte Erkrankungen
Der schädigende Effekt des Passivrauches ist bei etlichen Erkrankungen erwiesen, bei anderen wird er vermutet. Passivrauchen ist die dritthäufigste vermeidbare Todesursache in den USA mit 53.000 nichtrauchenden Todesopfern pro Jahr (American Non-smokers Right Foundation 2006).
Besonders Herz und Gefäßerkrankungen werden durch das Passivrauchen begünstigt. Im Vergleich zu Nichtrauchern haben Passivraucher ein um 30% erhöhtes Risiko, an Herzkreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall zu versterben. In den USA macht das geschätzte 40.000 Personen jährlich aus. Zugrunde liegende Erkrankungen wie Zuckerkrankheit, Bluthochdruck oder Gefäßerkrankung erhöhen das Risiko (WHO Report 2005).
Eine Studie in China an 60.000 Hausfrauen, deren Ehemänner rauchten, zeigte ein eindeutig erhöhtes Risiko für Schlaganfall und bestätigte somit die bisherige Erkenntnis (American Journal of Epidemiology 2005).
Passivrauchen schädigt die Gefäßwände. Das Ausmaß übersteigt noch die erwartete Schädigung durch die geschätzte Menge an passiv gerauchten Zigaretten. 30 Minuten Passivrauchen kommt einigen aktiv gerauchten Zigaretten gleich, weil die Herzgefäße verengt werden und die Blutdurchflussrate deutlich gesenkt wird. Die Ursache liegt in der gefäßverengenden Potenz von Nikotin. Nikotin neutralisiert zudem gefäßerweiternde kompensatorische Mechanismen. Durch den Feinstaub kommt es zudem zu einer Verschlechterung der Blutfettzusammensetzung. Das "schlechte" Cholesterin, das LDL, wird angehoben. Es ist mitverantwortlich für die Gefäßverkalkung der Arterien (Atherosklerose).
Das "gute" Cholesterin, das HDL, wird gesenkt. Auch die Blutplättchen und das Fibrinogen sind verstärkt aktiv. Beide Blutbestandteile sind wesentlich für die Blutgerinnung, das heißt, den Verschluss von Wunden. Bei einer bestehenden Gefäßverkalkung sind sie jedoch ein maßgeblicher Faktor für den akuten Gefäßverschluss – mit dem Erscheinungsbild Herzinfarkt und Schlaganfall. Der Feinstaub provoziert auch einen Anstieg an entzündlichen Faktoren im Blut, wie das C-reaktive Protein, das ebenfalls die Gefäßverkalkung fördert. Aufgrund dieser Fakten hat die amerikanische Herzvereinigung 2002 die Vermeidung von Aktiv- und auch Passivrauchen empfohlen.
Da normalerweise 15 kg Luft täglich eingeatmet werden – im Vergleich nehmen wir über denselben Zeitraum 1,5 kg Nahrung und 2,5 kg Wasser zu uns –, erscheint es nicht verwunderlich, dass das Einatmen von Tabakrauch für unsere Atemwege und Bronchien nicht gesund sein kann.
Die im Passivrauch enthaltenen Schadstoffe begünstigen die Entstehung einer chronischen Bronchitis (11% bei Erwachsenen, CHEST 2007). Die chronische Bronchitis, auch kurz COPD, gehört mit Abstand zu den am stärksten zunehmenden Erkrankungen weltweit. Anfänglich kommt es bei dieser Erkrankung zu gehäuften Hustenepisoden, gesteigerter Infektanfälligkeit der Atemwege und Lunge, und im späteren Verlauf erweist sich die Notwendigkeit einer sauerstoffunterstützenden Therapie als häufig zwingend.
Die Datenlage zum Passivrauchen und zur Entstehung von Asthma bronchiale ist bei weitem nicht so eindeutig wie bei der chronischen Bronchitis. Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass natürlich aktiv, aber auch passiv rauchende Asthmatiker einen schwereren Verlauf haben. Die im Tabakrauch enthaltenen Bestandteile neutralisieren die Wirkung der Asthma Medikamente, wodurch der Medikamentenbedarf auch bei passiv rauchenden Asthmatikern erhöht sein kann.
Die Kombination aus Asthma (Häufigkeit in Österreich 6-10%, Tendenz ist steigend, Ärztekammer OÖ 2002) und chronischer Bronchitis ist für den Betroffenen eine besonders leidvolle. Die häufigeren akuten Atemnotanfälle sind auch schwerer zu behandeln.
Über eine chronische Reizung der Schleimhäute kann es auch zur Entartung von Bronchialschleimhautzellen kommen (Lungenkrebs). Da die Diagnose Lungenkrebs meist zu spät gestellt wird, ist die Lebenserwartung zumeist deutlich herabgesetzt.
In einer groß angelegten weltweiten Studie zwischen 1985 und 1994 wurden 1263 Nichtraucher mit Lungenkrebs analysiert. Es wurde ein klarer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Passivrauchens und dem Risiko für Lungenkrebs gefunden. Berücksichtigt wurden sonstige schädigende Faktoren am Arbeitsplatz und das Ausmaß der Luftverschmutzung sowie die Wahrscheinlichkeit eines Lungenkrebses bei Nichtrauchern (International Journal of Cancer 2003).
In der statistischen Beurteilung der Daten wurde darauf hingewiesen, dass das Risiko für Lungenkrebs durch Passivrauchen wahrscheinlich noch höher ist. Statistisch gesehen sind von 100 Patienten mit Lungenkrebs 75 aktiv Rauchende gewesen. Von den restlichen 25 kann angenommen werden, dass ein Viertel den Krebs durch Passivrauchen erworben hat. (CHEST 2003)
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