Andacht vom 03.08.2004:
Stille
Der Herr der Welt, der heilige Gott Israels, hat zu euch gesagt: "Wenn ihr zu mir umkehrt und stillhaltet, dann werdet ihr gerettet. Wenn ihr gelassen abwartet und mir vertraut, dann seid ihr stark." Jesaja 30,15 (Die Gute Nachricht)
Ein Mönch wurde von Besuchern des Klosters gefragt: "Was für einen Sinn siehst du in deinem Leben der Stille?" Der Mönch schöpfte gerade Wasser. Er antwortete: "Schaut in den Brunnen! Was seht ihr?" Die Leute blickten in den Schacht: "Nichts!" Nach einer Weile forderte der Ordensmann die Leute wieder auf: "Schaut noch einmal hinein! Was erkennt ihr?" Einige riefen: Ja, jetzt sehen wir uns selber!" Da sagte der Mönch: "Seht, vorhin war die Wasseroberfläche unruhig, deshalb konntet ihr nichts erkennen. Jetzt ist das Wasser ruhig und spiegelt euer Bild wider. Das ist die Erfahrung der Stille: Man sieht sich selber."
Man muss nicht Mönch werden, um das zu begreifen. Übrigens ist das nur die halbe Wahrheit. Zwar ist viel gewonnen, wenn jemand anfängt, sich selber zu sehen, wie er ist. Wie oft gelingt das schon? Liegt es nicht näher, sich selbst und anderen etwas vorzutäuschen? Meistens wissen wir, dass unsere "Fassade" mit unserer wahren Gesinnung nicht übereinstimmt - und das macht unruhig und unglücklich. Da kann es wichtig sein zu tun, was schon die Philosophen der Antike forderten: Erkenne dich selbst! Aber Selbsterkenntnis ist eben nur der erste Schritt - und dazu ein nicht ungefährlicher. Wer kann es schon verkraften, sich ungeschminkt ins eigene Gesicht zu schauen? Deshalb geht das oben zitierte Bibelwort über das Stillstehen vor uns selbst hinaus, indem es zur Stille vor Gott ermutigt.
Wer nur sich sieht, muss resignieren oder verzweifeln. Wem es aber gelingt, den Blick zu Gott zu heben, der kann Hoffnung schöpfen. Gott will das aus uns machen, was wir gern wären - glückliche Menschen. Ohne inneres Stillstehen vor IHM gelingt das freilich nicht.
Günther Hampel
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.