Andacht vom 26.09.2009:
Armut hat viele Gesichter
Jesus antwortete ihm: "Die Füchse haben ihren Bau, die Vögel haben ihre Nester; aber der Menschensohn hat keinen Platz, an dem er sich ausruhen kann." Matthäus 8,20 (Hoffnung für alle)
Jesus war obdachlos. Allerdings hatte er diese Lebensform freiwillig gewählt. Warum? Es ist schwerer, arm zu sein und dabei zufrieden und ausgeglichen zu bleiben, als die Vorzüge des Wohlstands zu genießen.
Armut wird auch in Deutschland zunehmend thematisiert. Bis jetzt nehmen wir sie eher punktuell wahr, weil der Sozialstaat die größten Härten abfedert. Wenn bei uns von einem Monat zum anderen die Sozialleistungen halbiert oder gar gestrichen würden, stiege die Zahl der Obdachlosen drastisch an, und die Armutskriminalität würde sich wie eine Epidemie ausbreiten. Ein Blick in Länder, wo diese Hilfe ganz fehlt, zeigt, in welche Tiefen Armut führen kann. Armut beraubt Menschen ihrer Freiheit und nimmt ihnen ihre Würde.
Die Ursachen sind vielschichtig. Da sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren auch bei uns weiter verschärfen wird, müssen wir dafür sensibel werden. Zunehmend erlebe ich, wie bis in unsere Gemeinden hinein der eine oder andere von Armut bedrängt wird. Die allerwenigsten sprechen über die damit verbundenen Ängste. Nicht jeder kann mit Paulus bekennen: "... ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie's mir auch geht... Ich kann ... beides, Überfluss haben und Mangel leiden." (Phil 4,11.12) Für die meisten ist der Weg nach unten ein schmerzlicher Prozess, den nicht Betroffene schwer nachempfinden können.
Ich danke Gott, dass ich nicht zu den Armen zähle. Aber noch mehr bitte ich ihn darum, dass ich den Armen neben mir wahrnehme. Es gibt hier keine Patentrezepte. Wir können nicht alle Bedürftigen unterstützen. Allerdings können wir mehr Menschen helfen, als wir denken. Jeder muss selbst überlegen, ob er seine eigenen Wünsche zugunsten von hilfsbedürftigen Menschen reduzieren möchte. Das wird uns selten von heute auf morgen gelingen. Das müssen wir üben.
Wenn jemand diese Zeilen liest, der bekennen muss: "Ich gehöre schon dazu", dann mache ich ihm Mut, mit einer Person seines Vertrauens über dieses Problem zu sprechen. Ich möchte ihn ermutigen: Erwarte nicht zu viel, aber wisse, es gibt überall Menschen, die zur Hilfe bereit sind.
Wilfried Krause
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.