Andacht vom 27.09.2010:
Am Tag unseres Wiedersehens werden all eure Fragen beantwortet sein. Johannes 16,23a (Hoffnung für alle)
Es ist schon Jahre her und doch ist es mir unvergesslich geblieben. Ich musste über eine Stunde mit dem Bus fahren. Neben mir saß meine damals etwa vier Jahre alte Tochter. Während der ganzen Fahrt stellte sie mir Fragen. Unaufhörlich sprudelten neue Fragen aus dem kleinen Mädchen! Wie schön, wenn sich ein Kind mit Fragen die Welt erschließt. Wie schön auch, wenn jemand da ist, der antwortet.
In meinem Leben hat es immer mehr Fragen als Antworten gegeben. Gewiss, es gab auch die Zeit, als ich meinte, auf alles antworten zu können. Ich erinnere mich, dass ich in der Schule Dinge lernte, die meine Eltern nicht gelernt hatten. Das weckte in mir die Illusion, ich könnte nun überall mitreden. Wie unerträglich muss ich damals mit meiner Klugheit gewesen sein! Doch das währte nicht lange. Bald gewannen die Fragen wieder die Oberhand. Darunter waren Fragen, die mir das Leid in dieser Welt stellte, und auf die ich keine Antwort fand.
Als junger Pastor hatte ich manchmal Angst davor, Menschen könnten mir Fragen stellen, auf die ich keine Antwort wusste. Ich meinte, im Namen Gottes alles erklären zu müssen. Heute ist es mir zuwider, wenn Menschen auf alles schnell eine Antwort haben. Wie oberflächlich und falsch sind ihre Erklärungen doch meistens! Heute kann ich darauf vertrauen, dass Gott Fragen zu stillen vermag, auch wenn wir keine Antwort zu geben vermögen. Jesus bereitete in der Nacht vor seiner Kreuzigung seine Jünger darauf vor, ohne seine sichtbare Gegenwart in dieser Welt leben zu müssen. Darum sagte er zu ihnen: "Jetzt seid ihr voll Angst und Trauer. Aber ich werde euch wiedersehen. Dann wird euer Herz voll Freude sein, und diese Freude kann euch niemand nehmen. Wenn dieser Tag kommt, werdet ihr mich nichts mehr fragen." (Joh 16,22.23 GNB)
Es gibt viele Fragen, die ich Jesus in der Ewigkeit stellen möchte. Aber eines weiß ich: Die quälenden Fragen werde ich nicht mehr stellen, denn ich habe schon hier erlebt, wie Gott - wenn ich ihm nur vertraue - meine Fragen löst, ohne dass eine Antwort gegeben werden muss. Auch das können wir von Kindern lernen: Wenn sie Kummer haben, helfen keine Erklärungen. Werden sie aber in den Arm genommen und spüren sie Geborgenheit, dann verstummen der Kummer und die Fragen. Das ist das Geheimnis des Gottvertrauens: sich auf seine Verheißungen zu konzentrieren und sich auf sie zu verlassen!
Lothar Wilhelm
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.