Andacht vom 18.10.2005:
Letzte Chance
Herr, ich habe keinen Menschen... Johannes 5,7
Der Teich neben dem Jerusalemer Schafstor ist von Kranken umlagert. Fünf offene Hallen schützen sie vor der prallen Sonne und vor Regengüssen. Hier tastet sich ein Blinder von Säule zu Säule, dort hustet sich eine magere Frau fast das Leben aus dem Leib. Dazwischen kauern Patienten auf Matten und Decken und warten auf den seltenen Moment, in dem das Wasser Wellen schlägt. Sie glauben, dass in diesen Momenten ein Engel das Wasser aufrührt und ihm dadurch Heilkraft verleiht. Der Erste, der dann in den Teich steigt, soll angeblich gesund werden. In einer Ecke liegt einer, der nur noch Haut und Knochen ist.
Seit 38 Jahren krank - die Priester sagen: "Selbst verschuldet!" Aber ist das ein Trost? Er hat keine Chance, jemals als Erster ins Wasser zu kommen. Immer drängen sich andere vor, die stärker sind, ihre Ellenbogen nutzen und keine Skrupel kennen. Liegt ihm überhaupt noch etwas daran, gesund zu werden, oder hat er resigniert? Als Jesus ihn danach fragt, klagt er: "Herr, ich habe keinen Menschen." Warum ist er so einsam? Sind seine Angehörigen inzwischen alle tot?
Hat er sich die falschen Freunde ausgesucht, die nur im "Sonnenschein" feiern und sich bei "Regen" verdrücken? Oder hat er sein Leben lang nur an sich selbst gedacht und die wenigen Menschen, die sich für ihn verantwortlich fühlten, durch Selbstmitleid und überhöhte Ansprüche abgestoßen? Doch Jesus geht auf seine Klage nicht ein. "Willst du gesund werden? Dann steh auf und geh!" Und der Kranke wählt das Leben. Obwohl er noch keinen Beweis für seine Heilung hat, probiert er das Aufstehen. Und er ist gesund! Er hielt sich für chancenlos, weil er keine Freunde besaß, die ihn tragen konnten. Doch Gott hatte ihn nicht vergessen: Jesus kam zu ihm. Keiner von uns muss einsam zugrunde gehen, denn Jesus ist für uns alle da. Er wischt die dunklen Flecken aus unserem Leben und öffnet uns ein neues Fenster: "Sündige hinfort nicht mehr ..." (V. 14) Das ist mehr als ein guter Rat, mehr als ein Auftrag. Es ist eine Verheißung - auch für dein und mein Leben!
Sylvia Renz
Quelle: Andachtsbuch des Advent-Verlags Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung.