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Verfasser:Dr. Gerhard Padderatz
Erschienen in:Top Life Magazin 1 / 2008

Gewalt im Namen Gottes

Die religiöse Rechte in Amerika und der Gottesstaat

Al Gore berichtet in seinem Buch The Assault on Reason (Angriff auf die Vernunft) u.a. von der Folter an irakischen Gefangenen. So erwähnt er, dass einige amerikanische Wachen ihre Opfer "unter Androhung von Folter gezwungen hätten, ihre Religion zu verfluchen, Schweinefleisch zu essen und in Verletzung ihrer Glaubensregeln Alkohol zu trinken. Einer von ihnen erzählte einem Zeitungsreporter, dass ihm zunächst befohlen wurde, dem Islam abzuschwören. Dann fing, nachdem man ihm ein Bein gebrochen hatte, einer seiner Folterer an, dagegen zu schlagen." Dabei, so der Gefangene, "befahl er mir, Jesus zu danken, dass ich noch lebe." 1

Das amerikanische Sendungsbewusstsein

Wie sich herausstellte, waren Folterungen dieser Art nicht Ausrutscher einiger verrohter Soldaten der unteren Ränge, sondern – in Verletzung der Genfer Konvention – Teil der offiziellen Politik der US-Streitkräfte. Einer der Generäle, der laut Gore für die Organisation der Gefangenenmisshandlung im Irak verantwortlich zeichneten, war ein gewisser William G. Boykin. Bemerkenswert ist, dass derselbe General – ein evangelikaler Fundamentalist – im Herbst 2003 ins Pentagon befördert wurde. Kurz darauf trat er – bekleidet in seinem Kampfanzug – im Gottesdienst einer Kirche in Boring, Oregon, auf. Bei dieser Gelegenheit zeigte er u.a. ein Dia von Präsident George W. Bush und fragte dabei die Anwesenden: "Warum ist dieser Mann im Weißen Haus? Die Mehrheit der Amerikaner hat ihn nicht gewählt. Warum ist er dort? Und ich sage Ihnen heute Morgen: Er ist im Weißen Haus, weil Gott ihn um dieser Zeit willen dort hingestellt hat. Gott hat ihn dort hingestellt, damit er in einer Zeit wie dieser nicht nur dieses Land, sondern die Welt führt." 2

General Boykin ist nicht der einzige Amerikaner, der George Bush für ein Werkzeug Gottes hält und ohnehin lieber einen von Gott bestimmten Herrscher im Weißen Haus haben möchte als einen vom Volk gewählten Präsidenten. Die steigende Zahl der evangelikalen Fundamentalisten, die in der amerikanischen Politik immer lauter den Ton angeben, sieht das genau so. Ihr wachsender Einfluss hat das Land in einen "Kulturkrieg" gestürzt. Denn die frommen Eiferer sehen sich und ihr "christliches" Amerika – "Gottes eigenes Land" – durch den weltlichen Humanismus und Liberalismus bedroht. Nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" haben sie jetzt all jenen, die nicht ihrer Meinung sind, den Kampf angesagt.

Die spürbare Wandlung

Vorbei ist die Zeit, da man die Toleranz und Fairness der Vereinigten Staaten mit dem Satz charakterisieren konnte: "Ich hasse zwar, was du glaubst. Aber ich würde meinen rechten Arm für dein Recht geben, zu glauben, was du glaubst." Heute würden viele lieber den Arm des Abweichlers ausreißen, als den eigenen zu opfern – natürlich nur "für das Wohl des Vaterlandes".

Amerika hat sich in den letzten Jahren spürbar und sichtbar verändert. Die Leitdemokratie dieser Welt, die Bastion der Freiheit, der selbsternannte Dreh- und Angelpunkt für die "Achse des Guten" ist dabei, sich in einen zunehmend aggressiven und intoleranten Staat zu verwandeln – und das mit einer Geschwindigkeit, dass sich viele Europäer vor Verwunderung nur so die Augen reiben.

Viele sind der Meinung, diese Veränderung sei lediglich auf eine extreme Überreaktion des Landes auf die Ereignisse des 11. September 2001 zurückzuführen. Und sie meinen, die berühmten Selbstheilungskräfte der amerikanischen Demokratie würden das früher oder später schon wieder in Ordnung bringen. Tatsächlich lässt sich ein Teil der Phänomene mit dem Krieg gegen den Terror erklären. Dazu gehören staatliche Folter und Entführungen außerhalb der USA, die Stärkung der Geheimdienste mit einer jetzt wieder gültigen Lizenz zum Töten und die Aufstockung des Militärhaushalts auf 500 Milliarden Dollar im Jahr. Das ist übrigens fast genau der Betrag, den alle anderen Länder der Welt zusammengenommen für ihre Verteidigung ausgeben. Weitgehend unterhalb des Radarschirms der internationalen Medien hat Amerika sein globales Netz an Militärstützpunkten im Ausland auf etwa 1.000 in 130 Ländern ausgeweitet – und zwar zusätzlich zu den 6.000 im eigenen Land. 3

Gefährliche Freiheit(en)

Völlig unamerikanisch sind auch Schnüffelaktionen an den eigenen Bürgern und eine generelle Einschränkung der Rechtssicherheit. So habe George Bush in den Worten von Al Gore kürzlich "erklärt, dass er eine [zum Amt des Präsidenten gehörende] bis dato nicht anerkannte Macht habe, jeden amerikanischen Bürger zu ergreifen und gefangen zu nehmen, der nach seiner Einschätzung eine Bedrohung für unser Land darstelle – und das ohne Haftbefehl, ohne Nennung einer Anklage und selbst ohne dessen Familie davon in Kenntnis zu setzen, dass er ins Gefängnis gesteckt wurde. Der Präsident nimmt für sich in Anspruch, dass er jeden Amerikaner und jede Amerikanerin einfach auf der Straße schnappen und ihn oder sie auf unbestimmte Zeit wegsperren könne – und das sogar für den Rest seines bzw. ihres Lebens. Ferner könne er diesem Bürger oder dieser Bürgerin das Recht versagen, ein Telefonat zu führen oder mit einem Anwalt zu sprechen – und das selbst, wenn es nur darum geht, dem Präsidenten oder einer von ihm beauftragten Person klarzumachen, dass er einen Fehler gemacht und die falsche Person verhaftet habe." 4

Das religiöse Element

Doch der sogenannte Krieg gegen den Terror ist eben nur eine der Ursachen für die Veränderung Amerikas. Die andere Ursache ist religiöser Natur. Angestoßen durch katholische Kreise – nämlich den Jesuiten Virgil Blum, die amerikanische Bischofskonferenz, den Politstrategen Paul Weyrich, den Direct-Mailing- und Fundraising-Experten Richard Viguerie und den finanzstarken Bierbrauer Joseph Coors – ist Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts eine politisch-religiöse Bewegung mit evangelikal-protestantischem Gesicht entstanden: die religiöse Rechte (die sich selbst als christliche Rechte bezeichnet). Ihre wichtigsten Köpfe waren bzw. sind die Fernsehprediger und Politaktivisten Jerry Falwell (Moral Majority) und Pat Robertson (Christian Coalition), der Endzeit-Roman-Autor Tim LaHaye (Left Behind) und der Kinderpsychologe James Dobson (Focus on the Family).

Ihr Ziel: Amerika (und im zweiten Schritt die ganze Welt) "für Christus" zu beherrschen. "Unsere Aufgabe ist es", sagte D. James Kennedy von den Coral Ridge Ministries in Florida, "Amerika, ungeachtet aller Kosten, für Christus einzunehmen und die göttliche Herrschaft über jeden Aspekt und jede Institution der menschlichen Gesellschaft auszudehnen." 5 "Es ist Herrschaft und Kontrolle, um die es uns geht", 6 meint auch George Grant, ein anderer fundamentalistischer Politaktivist aus Florida. Man will das Land "zurückerobern", und zwar wie in einem Krieg, "Straßenblock um Straßenblock, Viertel um Viertel, Bundesstaat um Bundesstaat". 7 Zu dem Zweck wollen die evangelikalen Fundamentalisten die verfassungsmäßig verankerte Trennung von Staat und Kirche aufheben und Amerika zu einem Gottesstaat machen. Auf Antonin Scalia, einen der obersten Verfassungsrichter, können sie wohl auf jeden Fall zählen, denn er scheint der Meinung zu sein, dass die Religionsfreiheit ein Luxus sei, den sich Amerika nicht mehr leisten könne. 8 Aber auch die Mehrzahl der republikanischen Senatoren und 130 Kongress­abgeordnete, die sich als Wiedergeborene bezeichnen, unterstützen diese Ziele.

Gegen Trennung von Kirche und Staat

Die Umwandlung des amerikanischen Rechtssystems schreitet stetig voran – auch wenn es hier und da im Sinne der Evangelikalen noch Rückschläge geben mag. Ein im Jahr 2004 noch gescheitertes Gesetz hätte es Berufungsgerichten untersagt, "einen Fall anzunehmen, der sich gegen einen Beamten oder eine Regierungsstelle richtet, der oder die sich in seinen/ihren Handlungen ‚auf Gott als hoheitliche Quelle des Rechts, der Freiheit oder der Regierung’ beruft." 9 Angesichts der immer schärfer werdenden Auseinandersetzung im "Kulturkampf" scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis dieses Gesetz erneut eingebracht wird – und bei veränderten Mehrheitsverhältnissen in Kongress und Senat dann wohl angenommen wird.

Als Vehikel für ihren Weg an die Macht wählte die religiöse Rechte schon vor rund 30 Jahren die Republikanische Partei. Sie bezeichnen manche heute schon als eine religiöse Sekte. Mit Hilfe von 125.000 evangelikalen Ortsgemeinden und über 40 Millionen wirksam gesteuerten Wählern ist es der religiösen Rechten gelungen, zahlreiche Schlüsselpositionen der politischen Macht und Gerichtsbarkeit mit ihren Leuten zu besetzen. Niemand wird heute mehr ohne die Unterstützung der religiösen Rechten und speziell der evangelikalen Fundamentalisten zum Präsidenten gewählt. Das wird sich im November 2008 noch deutlicher zeigen als bisher. "Wenn die Evangelikalen ihre Stimme abgeben, entscheiden sie die Wahl", 10 sagte kürzlich Ted Haggard, der über eine homosexuelle Affäre gestolperte ehemalige Präsident der National Association of Evangelicals, eines Dachverbands für 30 Millionen Evangelikale.

Das Reich von dieser Welt

Die Elemente Druck und Zwang in der Christianisierung Amerikas sind nicht zu übersehen. Kein Wunder: Zwar glauben 93% der Amerikaner an Gott, aber 77% gehen auch davon aus, dass Gott die Ungläubigen am Ende der Zeit unendlich lange in der Hölle foltern wird. Es darf daher nicht überraschen, dass das "christliche" Amerika kein Problem mit dem Thema "Gewalt" hat. In seinen Augen ist sie ja göttlich sanktioniert. Und es ist eine Binsenweisheit, dass wir so werden wie der Gott, den wir verehren. Das Himmelreich "erleidet Gewalt", schrieb Pat Robertson schon 1982, "und gewalttätige Menschen erobern es mit Gewalt." 11 In der Zwischenzeit werden die Forderungen der religiösen Rechten immer militanter und extremer. Schon heute werden in den Bundesstaaten des sogenannten Bibelgürtels mehr Todesurteile vollstreckt als in den anderen Bundesstaaten mit Todesstrafe (insgesamt 38). Und wenn es nach der wachsenden Zahl der Scharfmacher innerhalb der religiösen Rechten ginge, würde die Liste der todeswürdigen Verbrechen bald um Ehebruch, Prostitution, Homosexualität, Gotteslästerung und Irrlehre erweitert. Vollstreckt werden sollten diese Urteile dann nach alttestamentlicher Manier – idealerweise durch Steinigung und Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.

Vergessen sind die Worte Jesu, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, und die Tatsache, dass Jesus sich bei seiner Verhaftung im Garten Gethsemane nicht zur Wehr setzte, obwohl er eine Armee von Engeln hätte rufen können. Stattdessen benutzt man für die Verwirklichung des "Reiches Gottes" Methoden, die im Widerspruch zu christlichen Prinzipien stehen: "Ich möchte unsichtbar sein", erklärte Ralph Reed, damals Geschäftsführer der Christian Coalition. "Ich male mein Gesicht [schwarz] an und reise bei Nacht. Du merkst erst, dass es vorbei ist, wenn du im Leichensack liegst." 12

Bist du nicht willig ...

Brutalität und Unmoral in den Methoden sind offensichtlich kein Problem. Sowohl die Vorstellung, dass der einmal Wiedergeborene eine unwiderrufliche Heilszusage hat, als auch der Glaube, dass Gott bestimmte Personen vor Erschaffung der Welt für die Errettung vorherbestimmt habe, geben so manchem Fundamentalisten einen Freibrief für sein unchristliches Denken und Handeln. Präsident George W. Bush, der sich selbst als Werkzeug und Sprachrohr Gottes sieht, fügt sich nahtlos in diese Argumentation ein. Bei den Fundamentalisten regt sich gegen diese Anmaßung der göttlichen Erwählung jedoch keineswegs Protest. Im Gegenteil! Sie applaudieren ihm.

Schon sieht man Anzeichen für ein Anziehen der Daumenschrauben, wenn es um die gewaltsame Bekehrung von "Ungläubigen" geht. Auf der Grundlage einer Präsidialverfügung werden jetzt Steuermilliarden, die bisher über die Sozialämter zur Auszahlung kamen, über kirchliche Einrichtungen kanalisiert. Die Faith-Based Initiative und die Charitable Choice zwingen Bedürftige in die Kirche, wenn sie lebensnotwendige Hilfe brauchen. Dabei ist es egal, ob sie nun gläubig sind oder nicht. Hier sehen sie sich dann einer Nötigung zur Bekehrung ausgesetzt. Außerdem werden so Kirchen mit Steuergeldern gestärkt – Kirchen, die der Steuerzahler in der Regel freiwillig nie unterstützen würde.

Kreuzzüge im 21. Jahrhundert

Die kriegerischen Einsätze Amerikas im Nahen Osten werden von den evangelikalen Fundamentalisten immer mehr als Kreuzzüge von prophetischer Qualität gesehen. Der Krieg gegen den Irak ist für viele von ihnen "nichts, was man verteufeln oder fürchten müsste, sondern ein positiver Schritt vor der Wiederkunft des Messias." 13 Der Irakkrieg ist nach Meinung der Journalistin Barbara Victor für die Fundamentalisten "nur der Beginn eines in der Bibel prophezeiten Krieges gegen den Islam und damit ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Erlösung... ." 14 Wie dabei kriegerische Gewalt und Zwang Hand in Hand mit der evangelikalen Missionierung gehen, zeigt ein weiterer Fall aus dem Irak, den Barbara Victor aus dem Umfeld von Franklin Graham berichtet. Der Sohn und Erbe der Prediger-Legende Billy Graham war kurz nach dem offiziellen Sieg über den Irak als Schirmherr der evangelikalen Hilfsorganisation Samaritan‘s Purse in den Irak gereist. Wie Grahams Leute dann vorgingen, um "das Wort Christi" zu verbreiten, erzählte später ein US-Soldat Barbara Victor unter Zusicherung strengster Anonymität: Er sei dabei gewesen, als einer von Grahams evangelikalen Pilgern einer Gruppe von Irakern frisches Wasser anbot – "aber nur unter der Bedingung, dass sie sich als Christen taufen" ließen. 15 Im Nachhinein sollten wir ins Grübeln kommen, denn: Vielleicht war es doch nicht nur ein hastiger und ignoranter Versprecher, als Bush unmittelbar nach dem 11. September 2001 von einem "Kreuzzug" sprach, den er gegen die "Feinde der Zivilisation" führen wolle.

Wohin steuert Amerika?

Das Land war schon immer religiöser als andere westliche Industrienationen. Jetzt scheinen die religiösen Kräfte allerdings völlig die Oberhand zu gewinnen. Doch obwohl eine politische Ökumene aus angeblich bekennenden Christen das Land zu Gott "zurückführen" will, scheinen die Dinge immer schlimmer zu werden – jedenfalls für die Nicht-Fundamentalisten. Außerdem wollen sie gerade jenen Zusatz zur Verfassung ändern, der es den Selbstheilungskräften der Demokratie erlauben würde, ihr korrigierendes Werk zu tun. Die Befürchtung, dass Amerika sich tatsächlich in einen Gottesstaat verwandelt, war noch nie so begründet wie heute.

Quellenverzeichnis:

1 Al Gore, The Assault on Reason, New York: The Penguin Press 2007, 59.

2 Wörtlich: "for such a time as this” (vgl. Esther 4,14) (Esther Kaplan, With God on Their Side: How Christian Fundamentalists Trampled Science, Policy, and Democracy in George W. Bush’s White House , New York: The New Press 2004, 21).

3 Chalmers Johnson, "America’s Empire of Bases”, in: Common Dreams News Center (15. Januar 2004), URL: <http://www.commondreams.org/cgi-bin/print.cgi?file=/views04/0115-08.htm>.

4 Gore 2007, 131.

5 Shlomo Shamir, "Für Christus?!", in: Tachles – Das Jüdische Wochenmagazin (3. März 2006).

6 George Grant, The Changing of the Guard. Biblical Principles for Political Action (1987), 50.

7 Ralph Reed, zitiert bei Thomas Schuler, Immer im Recht – Wie Amerika sich und seine Ideale verrät, München: Riemann 2003, 261.

8 Jay Gallimore, "Closer, Still Closer”, in: Michigan Memo (März 2005).

9 Marcia Pally, "Fröhlich zupackender Geist. Der amerikanische Evangelikalismus: Warum wir ihn hassen und warum er funktioniert", in: Süddeutsche Zeitung (21. Oktober 2005).

10 Ted Haggard (zitiert in: Religion News Service und Associated Press 2006).

11 Pat Robertson, The Secret Kingdom (1982), 82.

12 Ralph Reed, zitiert bei Mark O’Keefe, "Robertson’s Phone Corps Boosted GOP. Local Democrats Claim Network Ambushed Them”, in: The Virginian-Pilot (9. November 1991).

13 Barbara Victor, Beten im Oval Office. Christlicher Fundamentalismus in den USA und die internationale Politik (2005), 11.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Zitiert bei: Katherine Yurica (mit Laurie Hall). "The Despoiling of America: How George W. Bush became the head of the new American Dominionist Church/State” (11. Februar 2004a). URL: <http://www.yuricareport.com/Dominionism/TheDespoilingOfAmerica.htm> (2. Oktober 2006).

17 Zitiert ebd. Das Interview war am 5. September 2003 von dem kalifornischen Nachrichtensender KGO (San Francisco) ausgestrahlt worden.

Dr. phil. Gerhard Padderatz, gebürtiger Norddeutscher, ist Geschäftsführer einer Unternehmensberatung und Autor von mehreren Büchern und Zeitschriftenartikeln. Der gelernte Theologe, Historiker und Kommunikationswissenschaftler lebt seit sechs Jahren in den USA.

Sein Leitartikel dieser Ausgabe von Top Life Magazin, "Gewalt im Namen Gottes – die religiöse Rechte in Amerika", stützt sich auf sein neuestes Buch "Amerika: Mit Gewalt in den Gottesstaat", das im Oktober 2007 beim Mitteldeutschen Verlag erschien.

TLM: Herr Dr. Padderatz, Sie haben kürzlich ein Buch mit dem Titel "Amerika - mit Gewalt in den Gottesstaat" geschrieben. Die Vereinigten Staaten von Amerika galten lange Zeit als das Land, in dem Freiheit, Fleiß und Tugend hochgehalten wurden. Ob Politik, Religion oder Wirtschaft - viele blickten mit Bewunderung auf diesen Staat. Warum tauchen immer mehr kritische Stimmen gegenüber Amerika auf?

G.P.: Im Augenblick scheinen zwei Faktoren zusammenzuwirken: Zum einen Amerikas durchaus legitime Abwehr weiterer Terroranschläge. Zum anderen das Bemühen immer stärker werdender religiöser Kreise, die Säkularisierung des Landes zu stoppen bzw. umzudrehen. Es gibt nicht wenige unter den christlichen Fundamentalisten, die meinen, die Terroranschläge – wie auch Katastrophen in Amerika ganz allgemein – seien eine Strafe Gottes, weil das Land den Pfad der Tugend verlassen habe. Durch die Hinwendung aller Amerikaner zu Gott – so ihre Meinung – könnte man die Gunst Gottes wiedererlangen.

TLM: Sind die Maßnahmen nicht eine normale Reaktion eines Staates, der sich gegen die terroristischen Angriffe schützen muss? Bush und seine Gefolgsleute sind immerhin für die Sicherheit der Bürger verantwortlich.

G.P.: Das ist richtig. Die US-Regierung scheint aber über das Ziel hinauszuschießen. Im Gegensatz zu Europa sind Terroranschläge in Amerika etwas Neues. Vielleicht deshalb die Überreaktion. Man muss erst lernen, politisch so darauf zu reagieren, dass man nicht alle Freiheiten aufgibt. Denn dann hätten ja die Terroristen das erreicht, was sie erreichen wollen. Aufgrund seiner militärischen Macht greift Amerika schnell zu Brachiallösungen – etwa im Sinne des Sprichworts: Wenn du einen Hammer hast, beginnen alle Probleme wie Nägel auszusehen.

TLM: Ihre schwerwiegenden Bedenken gegen evangelikale Fundamentalisten durchziehen das ganze Buch. Sind aber nicht gerade die christlichen Werte Garant dafür, dass Menschenrechte eingehalten werden und man sich für den Frieden einsetzt? Es gibt ja wohl kaum eine religiöse Bewegung, die solch großen Wert auf Menschenwürde, Barmherzigkeit und Mitgefühl legt.

G.P.: Das ist grundsätzlich richtig. Wenn wir nach der Bibel gehen, wenn wir uns also Jesus Christus als Vorbild nehmen, werden wir uns immer für diese Werte einsetzen. Das ist auch in Amerika so. Man sagt ja, dass wir so werden wie der Gott, den wir verehren. Wenn ich andererseits davon ausgehe, dass Gott die Ungläubigen am Ende der Tage unendlich lange in einer angeblichen Hölle foltert, habe ich ein erschreckendes Gottesbild. Die meisten evangelikalen Fundamentalisten orientieren sich an solch einer Vorstellung. Das macht mir Angst. Und wenn ich dann noch sehe, dass diese Kräfte an der Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche arbeiten – also einen Gottesstaat wollen –, schwant mir nichts Gutes.

TLM: Wie ist es möglich, dass in unserer humanen, fortschrittlichen Zeit wieder mittelalterliche Gepflogenheiten eingeführt werden könnten? Würden da nicht die Bürger aller Staaten aufschreien und sich massiv dagegen wehren?

G.P.: Das sollte man meinen. Sogar innerhalb Amerikas gibt es diesen Aufschrei. Es ist ja nicht so, dass alle Amerikaner Fundamentalisten sind. Aber wir haben es hier mit einem irrationalen Element zu tun. Die Welt ist immer nur eine Katastrophe vom totalen Glauben entfernt. Angst macht religiös – nicht unbedingt christlich, aber religiös. Angst kann auch durch Arbeitslosigkeit, Inflation, eine Ener­giekrise etc. entstehen. Und letztlich entscheiden Mehrheitsverhältnisse über den Kurs der amerikanischen Politik. Aus Meinungsumfragen, die vor und nach Katastrophen durchgeführt wurden, wissen wir, dass die amerikanische Gesellschaft nach jedem Unglück einen Rechtsruck ins Lager der Fundamentalisten und rechtsextremen Populisten macht. Ich fürchte, mehr Katastrophen oder ganz allgemein mehr Not wird auch bei uns zu einem Rechtsruck in fundamentalistisch-religiöse und rechtsextreme Politik führen.

TLM: Was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?

G.P.: Ich möchte erreichen, dass meine Leser verstehen, dass das biblische Christentum, jene Religion, die sich an Jesus Christus orientiert, den Werten von Freiheit, Toleranz, Barmherzigkeit und dem Respekt vor der Entscheidung des anderen verpflichtet ist. Denn das entspricht dem Wesen Gottes. Ferner ist mir die Stärkung von Demokratie und Menschenrechten wichtig. Ich möchte, dass meine Leser erkennen, wo die Wurzeln für Intoleranz und Gewalt liegen und dass es nicht ausreicht, die Begriffe "Demokratie", "Menschenrechte" und "Freiheit" nur propagandistisch einzusetzen.

TLM: Danke, Herr Dr. Padderatz, für das Gespräch.

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