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Verfasser: Pierre Intering
Erschienen in:Top Life Aktuell 1803

Christliche Nation - Wie gläubig sind wir wirklich?

"Heiliges römisches Reich deutscher Nation" - dieser Titel, den sich das aufstrebende Habsburgerreich gab, ist (glücklicherweise) schon lange Geschichte. Auch wenn sich andere Länder noch Kaiser und Könige als ziemlich machtlose Repräsentanten leisten, in den deutschsprechenden Ländern finden sie keinen Platz. Zwar pflegt man noch immer die alten Schlösser und Burgen, um die Geschichte anschaulich und etwas verklärt für die Nachwelt zu erhalten, doch das war es dann schon.

Allerdings nicht ganz. Da und dort finden sich noch immer Spuren in der Gegenwart. Denn auch nach der Monarchie gibt es noch genügend Verträge zwischen Staat und Kirche. So gehört der Religionsunterricht noch immer zum festen Bestandteil der Schule, christliche Symbole zieren Amtszimmer, und Steuern werden noch immer über den Staat eingehoben, der auch das Attribut "christlich" erhält. Das Wort Nation wird wohlweislich weggelassen, aber man bekennt sich zur christlichen Kultur. Wie sieht es aber mit den bekennenden Christen aus, deren Zahl stark rückläufig ist? Und eine noch viel wichtigere Frage: Wie steht es um meinen persönlichen Glauben? Warum glaube ich überhaupt oder bekenne mich zu einer Kirche? Auch wenn man darüber nicht gerne spricht, kann man sich doch für sich allein ruhig einmal solche Gedanken machen. Völlig unabhängig, aus welchem Umfeld man kommt, welche Erfahrungen einen geprägt haben oder in welchen Kreisen man sich jetzt aufhält: Es lohnt sich immer, einmal stehen zu bleiben, stille zu werden und über seine Überzeugungen (man könnte auch Glauben sagen) nachzudenken. Warum glaube ich heute an das, was ich glaube?

Glauben aus Tradition?

Wenn ich nicht an einen Gott glaube oder eben doch, nur weil ich so erzogen worden bin, ist das in beiden Fällen keine gute Grundlage. Vielleicht wird mich jetzt der eine oder andere Gläubige tadeln, weil der Glaube doch nur gut sein kann. Nein, nicht unbedingt. Wenn man sich einfach aus Überlieferung zu etwas bekennt und ohne Überzeugung religiöse Feste feiert, kann das ganz schön verdreht sein. Solch ein herkömmlicher Glaube, der sich mit einem oberflächlichen Zustand zufrieden gibt, kann gefährlich sein. Warum das? Weil dieses Bekenntnis eher dazu dient, sein Gewissen zu beruhigen, als sein Handeln zu verändern. Kirchliche Bräuche dienen als Ausgleich, als eine Art Ablass. In diesem Sinn wird die Beichte, die übrigens erst viel später von der römischen Kirche eingeführt wurde, als Ersatz für eine wirkliche Lebensänderung missbraucht. Die auferlegten Bußübungen bereinigen alles wieder - bis zur nächsten Beichte. Das ist sicher nicht Sinn der Sache.

Hier werden die Berichte über das Leben Jesu hochinteressant, weil sich aus ihnen wichtige Lehren ziehen lassen. Jesus wuchs in einer durch und durch frommen Umgebung auf. Vom Atheismus war nicht viel zu sehen. Und doch tadelte Jesus den Unglauben. Religiös, ja das waren die Leute. Sie pflegten die Traditionen, kamen ihren religiösen Pflichten nach, opferten fleißig und bekannten damit ihre Schuld; aber untereinander hackten sie sich weiter sprichwörtlich die Augen aus und schlugen sich die Zähne ein. Die Feinde hassten sie bis aufs Blut, und für Andersgläubige hatten sie nur Verachtung übrig. Wenn es ums Geld ging, wurden sie gierig, und Unrecht taten immer nur die anderen. Ja sicher, das ist wohl zu allgemein, aber diese und viele andere Sünden durchsäuerten die Gesellschaft und verliehen ihr die Prägung.

Weil sich viele von Jesus etwas erhofften, kannte ihr Jubel kaum Grenzen. Sein Einzug in Jerusalem war ein einziges Freudenfest. Wenige Tage später schrie die Menge "Kreuzigt ihn, kreuzigt ihn!"

Es wäre besser gewesen, wenn man sich nicht auf Gott berufen und sich nicht mit einem frommen Schein umgeben hätte. Religion hatte die Aufgabe, alle zu überzeugen, es sei alles in Ordnung, man sei doch gut und gläubig und könne sich durch die Bräuche immer wieder an der Gunst Gottes erfreuen.

Die menschliche Natur hat sich seitdem nicht verändert. Es läuft sehr ähnlich wie damals ab. Statt Tieropfer zu bringen, geht man entweder zur Beichte oder betet persönlich zu Gott um Vergebung – und alles ist wieder gut. Eigentlich verhindert dieser Glaube eine wirkliche Änderung im Leben, weil die Tradition der ständigen und nur allzu leichten Vergebung sie gar nicht fordert. Paradox: Das, was zum Positiven verändern soll, bewirkt das Gegenteil, wenn man den Sinn aus den Augen verliert.

Übrigens: Auch der heutige Jubel schlägt schnell in bittere Enttäuschung um, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Heute müssen wir zwar nicht von den Römern, aber sehr wohl von Arbeitslosigkeit, Katastrophen und vielen anderen Dingen befreit werden. Kein Mensch, keine Regierung und keine Organisation kann das bewerkstelligen. Es sind einfach zu viele Interessen da, die zufriedengestellt werden müssen, zu viele Umstände, die sich immer wieder und immer rascher ändern. Jeder ist da überfordert. Man kann immer nur Kompromisse schließen, Schaden begrenzen und in einem überschaubaren Maß vorbeugen. Den Superhelden gibt es nicht, der das Ruder für alle herumreißen könnte - zumindest nicht auf dieser Welt.

Glauben aus Berechnung?

Wie kann man denn aus Berechnung glauben? Abgesehen von den irdischen Vorteilen, die man sich besonders in nicht so entwickelten Ländern von der kirchlichen Gemeinschaft erhofft, können auch wir aus Berechnung handeln. Wenn der Grund darin liegt, dass ich und meine Lieben nicht wie alle anderen „verloren“ gehen, sondern das ewige Leben bekommen, dann steckt da insgeheim auch Berechnung dahinter. Sicher, man opfert viel Zeit und auch Geld für seine Überzeugung, aber ist das eine Investition in die Zukunft? Vermutlich ist diese Berechnung den Leuten gar nicht bewusst. Aber wenn nicht wesentlich mehr dahintersteckt als die Angst, einmal verloren zu gehen oder verurteilt zu werden, ist es Berechnung, die man nicht zu den edlen Beweggründen zählen kann.

Auch darüber gibt es interessante Berichte: Die Mutter von Jakobus und Johannes bat Jesus: "Wirst du meinen Söhnen in deinem Reich die Ehrenplätze neben dir geben, den einen rechts und den anderen links von dir?" Matthäus 20,20 NL Verständlicherweise ärgerten sich die anderen Jünger über diesen Wunsch. Doch auch sie selbst hatten Motive, die nicht immer rein waren. So berichtet Lukas: "Und sie fingen an zu streiten, wer von ihnen im kommenden Reich Gottes der Größte sein würde." Lukas 22,24 NL

Das ist die menschliche Natur: "Was habe ich davon?" Damit aber nicht genug: "Ich möchte mehr als der andere!" Glücklicherweise veränderte sich diese Einstellung bei den Jüngern kurze Zeit später nach ihrem Schmerz über den Tod Jesu, aber auch nach ihrer Freude um den Auferstandenen. Später gaben sie alles, sogar ihr Leben.

Glauben heute

Auch wenn es traurig ist, dass heute Menschen in nicht wenigen Ländern aufgrund ihres Glaubens verfolgt, misshandelt und getötet werden, muss jemand nicht gleich zum Märtyrer werden, um sich Christ zu nennen. Einen Gläubigen macht nicht unbedingt das Bekenntnis oder das Glaubensgebäude aus, auf das er sich beruft. Glaube hat etwas mit einer Einstellung zum Leben, zum Nächsten, zu sich selbst, aber vor allem mit der Beziehung zu Gott zu tun. Das erkennt man nicht unbedingt an frommen Reden und Floskeln, sondern an den Werten, zu denen man sich bekennt und an denen man im Alltag auch unter schwierigsten Bedingungen festhält. Den Vortritt lassen, auf etwas verzichten, andere zu verstehen versuchen, Meinungen gelten lassen, keine Werte aufgeben, nur um anderen zu gefallen, das gehört zum 1 x 1 eines Christenlebens. Eine Steigerung nach oben ist nicht nur möglich, sondern auch erwünscht, wobei die "einfachen" Dinge nie vergessen werden dürfen. Auch heute besteht die Gefahr, sich so gut und gläubig zu fühlen, dass man auf die anderen hinabschaut.

Natürlich wird der Mensch, auch der "beste" Gläubige, nicht zum unantastbaren Heiligen, der über allen Dingen steht. Dazu schrieb Johannes: "Wenn wir sagen, wir seien ohne Schuld, betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns. Doch wenn wir ihm unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns vergibt und uns von allem Bösen reinigt. Wenn wir behaupten, wir hätten nicht gesündigt, machen wir Gott damit zum Lügner und beweisen, dass sein Wort nicht in unserem Herzen ist." 1. Johannes 1,8-10

Wir sind und bleiben unvollkommen - das ist so. Aber das darf nicht als Ausrede dafür dienen, dass wir so bleiben, wie wir sind. Es war auch das Anliegen von Jesus, dass die Menschen innerlich wachsen, reifer werden und Abhängigkeiten überwinden. Unter dem Deckmantel der Liebe und Barmherzigkeit einfach weitermachen wie bisher, das wäre Berechnung und nicht echter Glaube. Das war offensichtlich das größte Anliegen Jesu für seine Zeitgenossen. Der Zorn der damaligen Kirchenleitung ließ nicht lange auf sich warten.

Wer bei seiner Selbstprüfung schlecht abschneidet, darf trotz allem dankbar sein. Er ist nicht blind geworden und hat Gelegenheit, sein Herz zu öffnen.

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